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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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enthalten hätte, der in seiner Eröffnung nicht Absender und Empfänger erwähnt. Man wusste ja in den alten Zeiten nie, wie viele Monate oder Jahre es dauern würde, bis die Post überbracht wurde, daher musste man am Anfang alles klar darlegen. Hier ist diese erste Zeile, wenn man sie in Lautschrift transkribiert …«
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    Lucy und O’Hanrahan starrten auf die Buchstaben. »Bedenken Sie, daß man es von rechts nach links lesen muss «, fuhr O’Hanrahan fort. »Ich sehe nichts, das auch nur entfernt wie ›Matthias‹ oder ›Josephus‹ oder ›Jesus Christus‹ klingt, und ich habe die Hälfte des ersten Textblocks auf diese Art übertragen …« O’Hanrahan blätterte rasch durch die nächsten Seiten in seinem Notizblock und zeigte Transkriptionen. »Ich habe es von oben gelesen, nach unten, seitwärts, alles, was Sie wollen , um vielleicht ein Wort zu fin den, das vertraut klingt.«
    »Vielleicht ist es doch nicht Meroïtisch.«
    Nachdenklich verschränkte O’Hanrahan die Arme. » Müsste es aber sein. Alle Buchstaben stimmen überein, mit nur ganz geringfügigen Variationen. Und
    dann die Doppelpunkte.«
    »Und was soll ich jetzt tun?«
    Er lächelte. »Wäh rend ich in der Bibliothek wei termache, gehen Sie das zweite und das dritte Kapitel des Matthias durch, so weit Sie kommen, und übertragen die meroïtischen Buchstaben ins lateinische Alphabet. Am Anfang werden Sie ziemlich lange brauchen, aber bald werden Sie nur so über die Zeilen fliegen.«
    O’Hanrahan überließ Lucy eine Tabelle mit den dreiundzwanzig meroïtischen Buchstaben und ihren lautlichen Entsprechungen. Lucy war erpicht darauf, sich nützlich zu machen … aber was für einen langen, langweiligen Nachmittag hatte sie nun vor sich.
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    Rabbi Hersch, Lucy und O’Hanrahan waren endlich einmal derselben Meinung: An diesem Abend brauchten sie nach ihrer Schufterei alle eine Pause.
    O’Hanrahan kam um fünf Uhr nachmittags nach einem Umweg über die Bar zusammen mit Rabbi Hersch zurück zu seinem Zimmer im König David. O’Hanrahan schielte schon fast, nachdem er in der Bibliothek alles über die meroïtische Sprache gelesen hatte; der Rabbi ha tte den Tag damit verbracht, Bi bliotheksregister daraufhin durchzusehen, welche Bücher Rabbi Rosen damals benutzt hatte; Lucy litt ebenfalls an Stubenkoller, nachdem sie sich durch den größten Teil des zweiten Textblocks, das zweite Kapitel des Matthiasevangeliums, gekämpft hatte und sich dabei vom Zimmerservice Tee mit Imbiss , einen Sechserpack Cola light und eine Schachtel Zigaretten hatte bringen lassen. Sie war gereizt. Die drei Evangeliumsforscher gingen in ein armenisches Restaurant im armenischen Viertel und labten sich dort an Hacksteaks vom Lamm mit einem wunderbar aromatischen roten Gewürz, das einfach »armenisches Gewürz« hieß, und einem Salat nach Jerusalemer Art, der aus kleingeschnittenen Blättern und Kräutern bestand, die mit hummus angemacht waren, einer Paste aus zerdrückten Kichererbsen, Öl, Knoblauch, gemahlenen Sesamkörnern und Zitronensaft, die man mit warmem Pittabrot aus dem Steinofen auftunkt. Als Nachtisch gab es noch süßes, sandkuchenartiges Gebäck.
    Wie versprochen, begleitete Rabbi Mordechai Hersch seine beiden Kollegen – O’Hanrahan mit Yarmulke, dem schwarzen Käppchen, und Lucy konservativ im langen, schwarzen Rock und schwarzen Strümpfen – zur Klagemauer, dem letzten Überrest des zweiten, herodianischen Tempels. Der Pilger geht durch eine Sicherheitsschranke am Misttor und blickt hinab auf den Marmorplatz wie auf ein Amphitheater, das zu der Mauer führt, und betrachtet die Bittsteller, die dort beten und singen, die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite, und ihre Bitten schreiben sie auf kleine Zettel, die sie in die Ritzen der Mauer stecken – der steinerne Beweis, dachte Lucy, für 3500 Jahre ununterbrochenen Glaubens an Jahwe.
    (Nicht ganz so gläubig, sonst würde Salomos Tempel noch hier stehen.)
    An der Spitze der Mauer, ganz oben auf dem Tempel Berg , sah Lucy die El-Aksa-Moschee aus dem Jahr 702, eine der frühesten Moscheen des Islam, die an Mohammeds geheimnisvolle Nachtreise zum Tempel Berg und seine Himmelfahrt erinnern soll. Und in Blickweite der beiden Heiligtümer, in diesem Reich des Gebets, waren Soldaten mit Uzi-Maschinengewehren, Bunker und Stacheldraht zu sehen.
    (Gedenken und Gemeinheit Seite an Seite, so wie es bei Unseren Kindern immer ist. Wo ist der Tempel

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