Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
Vom Netzwerk:
bezahlte zwei Pfund.
    Lucy und Duncan unterhielten sich weiter, während sie kauend zurück zum Tor von Braithwaite gingen. Lucy hörte sich selbst unerhörte Dinge sagen: Sie reduzierte ihr Alter von achtundzwanzig auf dreiundzwanzig, als Duncan sagte, er sei einundzwanzig; sie erzählte irgendwie, daß sie Dr. O’Hanrahans Assistentin sei und mit ihm durch die Welt reise, auf der Jagd nach verlorenen Evangelien im Mittleren Osten; sie lud Duncan ein, die USA zu besuchen, und sagte, sie werde ihm helfen, die Reise zu bezahlen …
    »Alles in Ordnung, Mädchen?« fragte Duncan besorgt. Lucy registrierte, daß sie auf einer feuchten Steinmauer saß. Sie fühlte sich mieser als mies.
    »Du gibst diesen Kebab gleich wieder von dir, das kann ich dir sagen.«
    »Mir geht’s hervorragend«, erklärte sie. Das war das letzte, was sie sagte. Dann wusste sie nichts mehr.
    22. Juni 1990
    Lucy wachte auf und fühlte sich elend. Die Glocken dröhnten viel zu laut und viel zu lang; so ein unnötiger Lärm, zu viele Glocken in der althergebrachten Art des Oxforder Geläutes. Sie drehte sich um und machte die Augen wieder zu, in der Hoffnung, wieder einschlafen zu können.
    Nein. Wie schafft O’Hanrahan das? fragte sie sich, während sie vorsichtig die Hand auf ihren hämmernden Kopf legte. Verschiedene Aperitifs in dem getäfelten Zimmer, reichlich Wein, der Headbanger in der Turf Tavern, und dieser komische Kebab, den sie gegessen hatte … Mein Gott! Hatte sie etwa vor diesem einen netten britischen Jungen, der ihr fünf Minuten Zeit gewidmet hatte, gekotzt? Herr, sprich zu mir, sag nein, nein!
    (Doch, doch!)
    Okay, beschloss sie, ich werde einfach in diesem Bett sterben. Seit einem Fest des Theologischen Fachbereichs in ihrem ersten Semester hatte sie nicht mehr so viel getrunken. Kein Wunder, daß man die Pubs hier um elf Uhr schließt, dachte sie, wenn sie bis elf Uhr derart trinken. Es muss schon Mittag sein, meinte Lucy.
    (Es ist dreiviertel acht.)
    Nach einem grausamen Besuch auf der Toilette, weil ihr schlecht war, schleppte sie sich stöhnend wieder ins Bett und hoffte, ihr Magen und das Zimmer, das sich um sie drehte, würden sich beruhigen. Zwei Stunden später wachte sie auf und stellte fest, daß sie doch wieder eingeschlafen war. Sie brachte den Mut auf, den Kopf zu heben, stellte schließlich die Füße auf den Boden und stand langsam auf.
    Als sie das geschafft hatte, riskierte sie es, sich auf ihr Bett zu stellen, um aus dem hochgelegenen Fenster im schrägen Dach des Gästezimmers im Braithwaite College zu spähen: ein grauer, regnerischer Vormittag. Sie öffnete das Fenster, damit dringend benötigte frische Luft hereinkam, und horchte auf die »typisch englischen« Geräusche, denen sie eine Bedeutung beimaß, wie es nur ein Tourist zuwege bringt, der das erstemal im Land ist: der Regen, der in einem fremden Rhythmus tropft, die Wortfetzen britischer Gespräche, der Klang des europäischen Martinshorns, das Vorbeirumpeln von Lastwagen mit fremd brummenden Motoren. Sie zog einen Pullover an, kämmte sich, sah eine Weile in den Spiegel und dachte: Das Ganze wird ein Misserfolg . Ich kann dem Fachbereich nichts über O’Hanrahans Projekt berichten, und ich habe keinerlei Hinweis darauf, was aus Gabriel geworden ist. Als sie sich die Zähne putzte, wurde ihr erneut übel, und sie legte sich rasch wieder hin. Seufzend starrte sie die Zimmerdecke an. Gabriel O’Donoghue. Gabriel war mit ihr zusammen im Kindergarten von Bridgeport gewesen, wo er, wie sie, geboren und aufgewachsen war. Er war eine Heulsuse, erinnerte sie sich, ein weinerlicher, braver, katholischer Junge, der »Phasen« durchmachte. Ein Rebell; ein frommer, tugendhafter Ministrant; dann bekam er Ärger, weil er nach Milwaukee getrampt war; dann verkündete er, er werde ein Gelübde als Priester ablegen; dann trug er in der elften Klasse einen Ohrring und war ein Hippie, und in der Abschluss klasse woll te er Schauspieler werden.
    Lucy und Gabriel waren vier Jahre lang wieder vereint in der katholischen High School von St. Eulalia; dann wechselte Gabriel auf das Priesterseminar Nôtre-Dame, stieg wieder aus und ging zurück nach South Bend, um einen Abschluss ausgerechnet in Geographie zu machen, dann bewarb er sich für einen höheren akademischen Grad in Chicago. Er war intelligent und hübsch – auch wenn Judy das bestritt –, und Lucy war früher in ihn verknallt gewesen. Er war groß, hatte einen olivfarbenen Teint, sehr große traurige

Weitere Kostenlose Bücher