Der dreizehnte Apostel
Hersch auf.« O’Hanrahan schwieg einen Augenblick. »Nein. Besser, Sie nehmen zuerst Kontakt mit mir auf«, setzte er dann langsam hinzu. Er fühlte sich zwar illoyal dabei, war aber überzeugt, richtig zu handeln. »Melden Sie sich bei mir im König David. Für den Verkäufer dieses letzten Kapitels ist mehr Geld drin, als Sie sich vorstellen können.«
Waswasahs Augen glitzerten erwartungsvoll. »Ich werde ein persönliches Interesse an diesem Projekt haben«, sagte er und kippte den Rest seines Arraks hinunter.
»Die Moslems würden es aus verschiedenen Gründen auch gern haben und manche Gruppen, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, würden sich nichts dabei denken, dieses Kapitel zu nehmen – einfach so, ohne Ihnen den Preis zu bezahlen.«
»Aha«, meinte der andere einfach.
»Während ich und die Hebräische Universität Ihren Preis zahlen werden.«
»Ich werde daran denken.« Waswasah wurde abgelenkt durch einen dicken Mann in einem teuren weißen Leinenanzug, der sich im Laden umschaute und sich über Vitrinen beugte, immer nahe dran, mit seinem Bauch einen Schatz zu Boden zu stoßen. »Kommen Sie mich noch einmal besuchen, bevor Sie Jerusalem verlassen, mein Freund«, sagte Waswasah. »So wie die Welt aussieht, wer weiß …«
Nein, er brauchte den Satz nicht zu Ende zu führen. In Anbetracht ihres Alters, Saddam Husseins Einmarsch, der Intifada und des scharfen Vorgehens dagegen, wussten sowohl Waswasah wie O’Hanrahan, wie gering die Chancen auf ein Wiedersehen waren. O’Hanrahan griff nach der geschenkten Flasche und stellte fest, daß nur noch ein kleiner Rest darin war. Er wollte die Flasche seinem Freund dalassen, aber Mustafa wollte nichts davon hören. Also leerten sie auch den Rest nach einem Trinkspruch und einem Austausch von Segenswünschen. O’Hanrahan trat hinaus auf die Straße und fragte sich, wie lange er in diesem Viertel laufen musste , bis er ein Taxi fand. Er würde wohl besser zurück ins Hotel gehen und sich eines rufen lassen. Als er sich umwandte, sah er den dicken Mann im Eingang stehen.
»Dr. O’Hanrahan?« fragte der Mann mit einem weichen deutschen Akzent. »Was für ein Zufall!«
Hatten sie sich schon einmal gesehen? O’Hanrahan sah den andern fragend an.
»Wir haben uns nicht gesehen, aber ich kenne Sie sehr gut. Zweimal hätten wir uns auch beinahe getroffen.«
Langsam dämmerte es dem Professor: Das war der Deutsche, der das Matthäusevangelium im März gekauft und es sich dann wieder durch die Lappen hatte gehen lassen. O’Hanrahan warf einen Blick nach rechts und sah einen BMW, weiß wie der Anzug des Mannes. »Kann ich Sie mit nach Neu-Jerusalem zurücknehmen?« bot der Deutsche an.
YYY
Nach weiteren Streitereien mit Ladeninhabern und noch mehr unhöflicher Behandlung winkte Lucy schließlich einem Taxi und erklärte, sie wolle zum Israel-Museum. Sie musste dem Fahrer mehrmals erklären, daß sie nicht zur Gedenkstätte Yad Vashem wollte, wo Seife aus Menschenfett und jedes entsetzliche Werkzeug des nationalsozialistischen Holocaust ausgestellt war, sie wollte zum Schrein des Buches im Israel-Museum. Der Mann beharrte darauf, daß alle Nichtjuden nach Yad Vashem gehen müssten ; er habe Verwandte in Bergen-Belsen verloren etc. Schließlich kamen sie am Museum an – ganz sicher auf dem längsten Weg, dachte Lucy – und stritten über den Fahrpreis, was ihre Begegnung noch unerfreulicher machte.
Während Lucy lustlos durch das wundervolle Israel-Museum trottete, überlegte sie, ob es antisemitisch war, daß sie manche Israelis einfach nicht sympathisch fand.
Nein, sagte sie zu sich selbst. Es ist etwas anderes, alle Juden zu hassen, was sie nicht tat, als einige nicht zu mögen. Außerdem: Diese Leute leben im Schatten der Gewehre und sind verständlicherweise ängstlich und unfreundlich zu Nichtjuden. Auch zu mir, einer Amerikanerin, murmelte Lucy in den Raum, die dieses Land mit ihren Steuerdollars subventioniert. Ich erwarte ja keine Karte mit Dankesworten, aber Höflichkeit und Gefälligkeit würden mir schon guttun.
Nachdem sie die Qumran-Rollen angesehen hatte, die in der Realität ebenso beeindruckend waren wie in O’Hanrahans legendären Erzählungen, stand sie wieder draußen und überlegte, ob sie es irgendwie vermeiden könnte, Rabbi Hersch zu besuchen. Für diesen Tag habe ich genug an israelischer Schroffheit eingesteckt, dachte sie, aber pflichtbewusst trottete sie trotzdem in das Tal hinunter und den nächsten Hügel hinauf zur
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