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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Hebräischen Universität, dem Campus Givat Ram. Nach mehreren Krümmungen und Biegungen, nachdem Sicherheitskräfte und Studenten ihr den Weg gewiesen hatten, fand sie sich vor der weißgetünchten Campus-Synagoge und einem anderen Gebäude mit Kuppeldach, das aussah wie ein Treibhaus. Zwischen diesen beiden befand sich das Gebäude, in dem der Rabbi ein provisorisches Büro eingerichtet hatte, um in der Nähe der Nationalbibliothek zu sein. Normalerweise, wie der Rabbi erklärt hatte, war er oben, wo etwas los war, auf dem Campus Skopusberg, einem umkämpften Hügel, der nacheinander jordanisch, israelisch, jordanisch und jetzt wieder israelisch war, außer dem Teil in der West Bank.
    Lucy fand seinen Namen auf einer zweisprachigen Liste. Sie ging zu seinem Büro, dessen Tür nur angelehnt war, und sah, daß drinnen ein Gespräch stattfand. Sie wartete ein bisschen , weil sie nicht unterbrechen wollte, begriff aber, daß dieser Talmud-Diskurs vielleicht noch Stunden ging, und so klopfte sie bescheiden. »Yavo«, sagte der Rabbi.
    »Ich bin’s«, erwiderte Lucy und streckte den Kopf durch die Tür. Der Rabbi saß hinter einem alten Holzschreibtisch, in einer kleinen Lesenische, die von Büchern eingeschlossen war; auf dem Regal in Ar meshöhe standen ehrfurchtgebietende, ledergebun dene Kommentare. Lucy sah, daß der Tutorenkurs einem jungen chassidischen Studenten mit dünnem Kinnbart und schwarzen Ohrlocken erteilt wurde. Der Chassid warf Lucy nur einen kurzen Blick zu und wandte sich sofort wieder ab. »Geben Sie mir noch ein paar Minuten«, sagte Rabbi Hersch. »Setzen Sie sich, bitte.«
    Lucy nahm eilig auf einem Stuhl Platz. Ihr wurde klar, daß sie und der junge Mann einander nicht vorgestellt werden würden. Natürlich nicht, überlegte sie, ich bin ja eine unreine S chickse , eine Hure der Nichtjuden. Dem jungen Chassiden gefiel ihre Anwesenheit offensichtlich nicht, und Lucy konnte erkennen, daß er sich auf Hebräisch darüber beklagte. Der Rabbi antwortete ihm unwirsch und verwies den Jungen wieder auf den Talmud. Lucy hörte zu, ohne ein Wort zu verstehen. Der Rabbi stellte Fragen, und der Junge antwortete mit schwindendem Selbstvertrauen, bis der Rabbi ihn schließlich so weit gebracht hatte, daß er mit seiner Weisheit am Ende war. Rabbi Hersch holte aus dem Regal hinter sich einen verstaubten Kommentar und las daraus eine ganze Passage vor, die der Student vielleicht lesen sollte – oder vielleicht hätte lesen sollen. Lucy sah, wie der junge Mann tief errötete. Ha, dachte sie schadenfroh, nun schämt er sich vor mir, der Unreinen … Der Rabbi musste etwas in der Art wie »Das war’s für heute« gesagt haben. Auf dieses Stichwort hin steckte der Student seine Blätter in die Mappe und verließ in übertriebener Hast das Zimmer, wobei er darauf achtete,
    keinen Blickkontakt mit Lucy zu haben. »Warmherzig und freundlich, diese Chassidim«, bemerkte Lucy.
    »Sie glauben, daß er Sie ablehnt? Er bringt es gerade fertig, sich von mir den Talmud lehren zu lassen!«
    »Warum geht er dann nicht auf eine chassidische Universität?«
    »Oh, die Hebräische Universität ist die große Elite-Uni, und das weiß er. Er muss sich nur meine ketzerische, heidnische Art gefallen lassen.«
    In dieser Frage verstand Lucy besonders wenig Spaß. »Lassen Sie mich raten«, sagte sie, »ich bin eine goja – ist das die weibliche Form von gojim?«
    »Sheygets für Jungen, schickse für Mädchen und gojim für beide«, korrigierte er.
    »Ich bin eine nichtjüdische Frau und könnte in den Augen Gottes gründlich unschicklich sein, weil ich menstruieren könnte, diese schreckliche Tat.« Der Rabbi lehnte sich zurück und lachte. »Wird es Sie kränken, Rabbi, Sir, wenn ich sage, daß meiner Meinung nach …«
    »Daß Sie als Frau des 20. Jahrhunderts denken, daß das ein Blödsinn ist?«
    Lucy wurde kühner: »Sexismus ist in jeder Religion etwas ziemlich Normales, aber selbst gefällig zu glau ben, daß man der nichtjüdischen Rasse und sogar anderen Juden überlegen ist, scheint mir rassistisch. Und das ist teilweise der Grund, warum viele Menschen auf der Welt die Juden nicht mögen.«
    »Einschließlich Sie selbst«, stellte er fröhlich fest.
    »Ich bin nicht antisemitisch«, widersprach Lucy.
    »Neeein, natürlich nicht«, konterte er. »Sie mögen nur einfach keinen von den Juden, die Sie je kennengelernt haben. Diese Juden waren streberisch, arrogant und würden Sie für einen Groschen in den Staub treten

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