Der dreizehnte Apostel
jedem denkbaren Schlamassel herauswinden konnte.
»Ein Wort über die Schriftrolle, die Sie 1949 an Rabbi Rosen verkauft haben …«, begann O’Hanrahan.
»Sie kennen meine Prinzipien«, verkündete Waswasah stolz und goss noch ein wenig Arrak in sein Teeglas. »Ich behandle meine Kunden und ihre Geschäfte streng vertraulich. So wie ein Katholik und sein Priester, nicht wahr?«
Dieser alte Fuchs würde jedermann alles für Geld verraten, das wusste O’Hanrahan nur zu gut. »Aber das war vor gut vierzig Jahren, Mustafa, und Rosen ist schon lange tot. Mein Freund, bitte. Erinnern Sie sich an die Umstände, als Rabbi Rosen damals die Schriftrolle von Ihnen gekauft hat?«
»Ist die Hebräische Universität gewillt, für eine solche Information zu zahlen?«
»Ich frage nicht für die Hebräische Universität, sondern für mich.«
Mustafa sah schmerzerfüllt drein. »Meine Erinnerung an etwas, das so lange her ist …«
»Aber ich glaube, man könnte eine gewisse Vergütung der Universität von Chicago vereinbaren …« O’Hanrahan hatte m it einem Blick auf das Ladenfen ster festgestellt, daß VISA-Card akzeptiert wurde.
»Nun gut. Ich habe dem Mann selbst nicht viele Fragen gestellt. Die Rolle kam aus dem Nationalmuseum von Ägypten, das bereit war, sie zu verkaufen. Sie hielten sie für unübersetzbar und auf jeden Fall für unbedeutend.«
»Und bevor die Schriftrolle nach Ägypten kam?«
»War sie in Amerika.«
O’Hanrahan war baff. »Das Matthäusevangelium war in Amerika?«
Waswasah sah ein wenig fröhlicher drein. »Ich vermute, dieser amerikanische Sammler ist nach dem Zweiten Weltkrieg an diese Schriftrolle gekommen. Viele Schätze wurden damals gestohlen, in Nordafrika, im Nahen Osten, in Europa. Vieles von dem, was ich damals verkauft habe, war von Soldaten gestohlen worden. Viele europäische Händler würden gestohlenes Eigentum nicht anrühren, aber wir in diesem Teil der Welt wissen, daß der Markt nur zwei Regeln kennt: Kaufen und Verkaufen. Ich würde Ihnen mehr über diesen Mann sagen, wenn ich mehr wüsste . Nur soviel: Sein Nachname war Merriwether.«
Aha, der Kreis Schloss sich. »Jetzt denken Sie sorgfältig nach, Mustafa«, bat ihn O’Hanrahan, »ist es wahr, daß Jacob Rosen die Schriftrolle, nachdem er sie gekauft hatte, zu Ihnen zum Ausbessern brachte?« Das Gedächtnis des Händlers war in Wahrheit sehr scharf; er erinnerte sich an jedes Detail einer Transaktion. »Er hatte die Absicht.« Neben seinen vielen anderen Talenten – wie die Imitation von Antiquitäten und Fälschungen – war Mustafa Waswasah ein geschickter Restaurator. Viele Fragmente der Schriftrollen vom Toten Meer waren unter seinem fachkundigen Auge wieder aneinandergefügt worden, zusammengenäht mit einem alten Faden aus einem uralten Kleidungsstück oder zusammengekleistert mit einem Brei aus altem Papyrus. Seine Kunst war durch nichts anderes inspiriert als durch die höhere Summe, die der ausgebesserte Gegenstand einbringen würde, aber dennoch restaurierte er mit dem Eifer eines Kunsthandwerkers.
»Ja, Mr. Rosen hat mich angerufen und gesagt, der letzte Abschnitt der Schriftrolle habe sich gelöst und er habe ihn daher vom restlichen Teil abgetrennt. Er schlug einen Termin vor, um die Rolle zu mir zum Restaurieren zu bringen, aber er hat diesen Termin nicht mehr eingehalten.«
»Nein?«
»Nein, einen Tag, nachdem er angerufen hatte, stürzte er zu Tode.«
Ein finsterer Gedanke ging O’Hanrahan durch den Kopf: Konnte es sein, daß Rabbi Rosens Anruf bei Mustafa die Kette der Ereignisse in Gang gesetzt hatte? Hatte dieser arabische Händler die Information an jemanden verkauft, der den armen Mann dann die Treppe hinunterstieß und die Schriftrolle an sich nahm? O’Hanrahan fegte diesen Gedanken beiseite –
seine Einstellung zu Waswasah würde dadurch zu sehr kompliziert. »Die Schriftrolle ist wieder aufgetaucht«, vertraute O’Hanrahan Mustafa an.
»Ich habe es gehört.«
» Matthäusevangelium wird es nun genannt.«
»Ein Evangelium! Wie wundervoll für die Christen! Wird Mohammed darin angekündigt?«
»Bei dieser Schriftrolle würde ich nichts für unmöglich halten.« O’Hanrahan schenkte sich noch einen Arrak ein und ließ sich das Aroma in die Nase steigen, bevor er daran nippte. »Dieses Evangelium ist wieder aufgetaucht, aber das letzte Kapitel fehlt. Wenn Sie irgendetwas über diesen letzten Abschnitt hören, mein Freund, irgendetwas , dann nehmen Sie Kontakt mit mir oder Rabbi
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