Der dreizehnte Apostel
unter den Tisch, um es zu fressen. »Sie haben davon gehört?« fragte al-Taki.
Der Professor fiel fast in Ohnmacht. Er fühlte sich wie ein Dieb vor unbewachten Juwelen, ein Armer vor einem Berg unzählbaren Goldes … Mohammed Baqir al-Taki hatte die eine Schriftrolle erwähnt, für die O’Hanrahan den Matthias im Stich lassen würde! Wie konnte es sein, daß sie diese Rolle besaßen? Das Ur-Evangelium … obwohl es etwas seltsam war, die Vorsilbe Ur vor etwas Jüdisch-Christliches zu setzen. Das ursprüngliche, das älteste bedeutende Evangelium! Lange Zeit bereits in absentia analysiert – und nun gefunden! Nein, es musste ein Hirngespinst sein.
»Die Nestorianer besitzen viele alte Evangelien, wissen Sie«, erklärte Mohammed.
Ja, die Nestorianer, überlegte O’Hanrahan. Eine christliche Sekte, die uns für den größten Teil dieses Jahrhunderts verschlossen war – ihre riesigen Bibliotheken harren noch der Erforschung durch moderne Philologie und Textgelehrsamkeit.
(Unsere armen Nestorianer. Vielleicht die meist verfolgte Sekte der Christenheit, die seit dem Jahr 430, als Nestorius darauf beharrte, Maria könne nicht als die Theotokos, die Gottesmutter, bezeichnet werden, in der Opposition war. Dennoch haben sie im Iran und im nördlichen Irak als Assyrische Kirche überlebt, obwohl sie in den dreißiger Jahren von den Kurden – die seither am eigenen Leib schmerzlich erfahren haben, was es bedeutet, vernichtet zu werden – beinahe völlig ausgerottet worden wären.)
»Nestorius befahl seinen Schülern, die frühesten Evangelien aufzubewahren, um zur Marienfrage besser argumentieren zu können. Unsere muslimischen Gelehrten haben Q auf das 1. Jahrhundert Ihrer Zeitrechnung datiert und viel darüber geschrieben, aber der Westen geht darüber hinweg und hält uns nicht für glaubwürdig. Kein Christ will zugeben, daß Q existiert. Denn natürlich ist es so, wie Mohammed, Friede sei mit ihm, gesagt hat. Es gibt keine Auferstehung Jesu. Allerdings gibt es seltsamerweise auch keine Himmelfahrt.«
O’Hanrahan war erleichtert zu hören, daß Q nicht der muslimischen Orthodoxie folgte, denn sonst wäre es mit Sicherheit eine spätere Fälschung gewesen. »Warum haben die Moslems das Ding nicht verbrannt, wenn es nicht mit dem Propheten, Friede sei mit ihm, übereinstimmt?«
»Friede und viele Segenswünsche seien mit ihm.« Al-Taki trank seinen Kaffee aus. »Es sind die Christen, die Bücher verbrennen, nicht die Muslime.«
Nein, dachte O’Hanrahan, ihr sprecht nur fatwas aus und bringt Autoren um. Aber er war entzückt. Es wäre natürlich Wahnsinn, nach Teheran zu gehen … aber die Chance, Q zu sehen! Und das Mädchen, nicht zu vergessen, das Mädchen! Und wenn Q wirklich echt war, würde dieser Doppelfund, Q und der Matthias, der größte zweifache Coup in der Kirchengeschichte sein … Und er könnte der Gelehrte sein, der beide der Welt vorlegte! Unauslöschlicher, unendlicher Ruhm über die Jahrhunderte hinweg!
»Sie müssen unseren irakischen Freunden verzeihen«, bat Mohammed, der seinen Abscheu kaum verbarg, »den Mu’tazilah, die Sie in Griechenland in Schwierigkeiten gebracht haben. So primitive Methoden – Sunniten natürlich. Was will man erwarten! Unverzeihlich. Wir bieten Ihnen ein Leben, das Ihrer würdig ist. Sie haben den ersten Muslim an die Universität von Chicago gebracht, nicht wahr? Sie waren immer ein Freund des Islam.«
»Eine sehr schöne Religion«, bestätigte der Professor und nickte. Für sich selbst fügte er hinzu: Es ist eine Schande, daß eure fundamentalistischen Clowns sie so verhunzt haben … O’Hanrahan sah, daß der Junge, der sie bedient hatte, zu dem knurrenden Hund ging und ihn kräftig mit einem Stock schlug, um ihn zu vertreiben. Die Männer im Café lachten und applaudierten.
»Ich bin kein Marktschreier, Professor«, sagte Mohammed Baqir al-Taki charmant. »Ich habe mein Angebot gemacht. Ich werde Sie nach Teheran begleiten, wenn Sie wollen. Ich werde Sie auf das große Minarett führen, und Sie können hinuntersehen auf die wundervolle Stadt – Ihre neue Heimat.«
(Darauf nahm ihn der Teufel mit in die heilige Stadt, stellte ihn auf die Zinne des Tempels …)
»Niemand von unserer Fakultät ist so furchteinflößend, wie Sie glauben!« versicherte al-Taki. »Teheran ist nicht Qom; die Universität steht nicht unter der Fuchtel der Mullahs.« Hier, jetzt hast du deine Karte überreizt, dachte O’Hanrahan.
Natürlich hatte er keinerlei Absicht,
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