Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
Vom Netzwerk:
Mann auf einem mit Äpfeln beladenen Karren zu, der durch das Damaskustor sauste und furchtlos die Menschenmenge teilte, während die Passanten gleichmütig aus dem Weg gingen, ohne ihre Gespräche zu unterbrechen.
    Es war Abend. Lucy betrachtete das orangefarbene Licht auf dem polierten weißen Stein der Stadtmauern, das in alle Gassen des arabischen Viertels drang und weiße Betttücher , die an Wäscheleinen trockneten, erglühen ließ. Aber keine Oberfläche war besser geeignet, den Glanz des Abendrots festzuhalten, sich darin zu baden, als der alte, von der Zeit geglättete Stein.
    »Die goldene Kuppel des Felsendoms fängt die Sonne wirklich schön ein … und dahinter der Ölberg«, sagte der Rabbi. »Der Messias konnte sich keinen besseren Ort aussuchen, um zurückzukehren, obwohl ich eher den Verdacht habe, daß er morgens kommen wird.«
    »Damit er besser das Goldene Tor anpeilen kann«, murmelte O’Hanrahan, der den Tee mittels einiger Pantomimen bestellt hatte. »Durch das der Messias
    die Stadt betreten muss «, erklärte der Rabbi, als er Lucys Verwirrung bemerkte.
    »Wie hält man einen Durchschnittsmenschen davon ab, durch dieses Tor zu gehen?« fragte sie.
    »Oh, es ist mit Steinen dichtgemacht«, antwortete der Rabbi. »Ein Wunder wird nötig sein, um es zu öffnen, und wenn das geschieht, wird es das Zeichen sein, daß wir es mit dem richtigen Messias zu tun haben. Und die chassidischen Lubavitchers sagen, daß es bald sein wird.«
    Lucy verdrehte die Augen. »Bitte, nicht schon wieder die Endzeit. Sie beide haben mir damit schon genügend Angst eingejagt. Überall, wo wir waren, haben Sie gesagt, das Ende der Welt sei nahe.«
    Alle drei schwiegen und hingen düsteren Gedanken nach. Würde Jerusalem in einem halben Jahr noch stehen? Wohin würde der schwelende Kuwait-Konflikt führen – zu Atombomben, zu biologischen und chemischen Waffen? Zum Tag des Jüngsten Gerichts?
    Eine Kanne Pfefferminztee und drei Teegläser kamen. Außerdem stellte der Besitzer einen Teller auf den Tisch: sechs große Mandelkekse, mit weißem Puderzucker bestreut.
    »Wie ich schon sagte«, teilte Lucy mit und nahm einen Keks, »ich bin zu jung, um gerichtet zu werden.«
    »Es gibt eine verblüffende Prophezeiung aus dem
    13. Jahrhundert, über die hier schon viel diskutiert worden ist«, fuhr der Rabbi fort, »die besagt, daß die Mederkönige – und dieses Reich würde Bagdad und Saddam Hussein einschließen – die Herrscher Arabiens angreifen werden, was im Augenblick gerade in Arbeit ist; sie würden einen König den Jordan herunterbringen, womit wohl König Hussein gemeint ist. Und das werde die Welt in einen Krieg stürzen, der den Beginn der Endzeit, die Ankunft des Messias und den Triumph Israels markiert. Die Lubavitchers haben Aufkleber auf dem Auto mit dem Spruch: Wir wollen den Messias jetzt.«
    »Das sollte doch wohl Gottes Aufmerksamkeit erregen«, knurrte der Professor.
    Lucy sah, daß die Steine der Altstadt sich rot gefärbt hatten; hinter der Stadtmauer leuchtete der Himmel in warmem Violett. Seltsam, dachte sie, daß überhaupt jemand an diesem lieblichen, gesegneten Ort kämpfen will. Und doch sah man es in den Nachrichten, die Straßenkämpfe, das Tränengas in Ostjerusalem. Überall inmitten dieses geschäftigen Treibens von Menschen waren israelische Soldaten, erbarmungslos und anmaßend, die ihre Uzis nicht widerwillig benutzten. Wie viele Tote zählte man bisher? Über 400 Palästinenser, die bei der Intifada bisher umgekommen ware n, zumeist Jungen im Teenageral ter aus Elendsvierteln, für deren Verbesserung man nichts getan hatte – ein Milieu, das sich seit der Besetzung dieses früher jordanischen Gebietes ausgedehnt hatte, eines Gebietes, das 1917 nicht mehr als
    90.000 Juden aufzuweisen hatte. Ja, man konnte es wegwischen wie der Rabbi, aber es gab tiefe, nicht behebbare Unterschiede und schlimme Ungerechtigkeiten; Kinder, die umgebracht, Häuser, die plattgewalzt wurden, und Menschen, die 25 Jahre in schrecklichen Flüchtlingslagern verbracht hatten. Und trotzdem – es war komplizierter, als ein Außenstehender es sich vorstellen konnte.
    Am Vormittag, als Lucy herumgelaufen war, hatte sie einen Andenkenladen voller T-Shirts entdeckt – in einem der vielen höhlenartigen Räume abseits von einer alten Straße, der die letzten dreitausend Jahre über als Warenlager gedient hatte. Auf einem T-Shirt waren ein Davidstern und eine Uzi abgebildet, darunter der intelligente Spruch: Uzi

Weitere Kostenlose Bücher