Der dreizehnte Apostel
macht’s. Nein, hatte Lucy gedacht, das ist nicht mehr lustig: »Witze« übers Töten. Auf einem anderen T-Shirt stand: Keine Sorge, Amerika, Israel steht hinter dir. Schöne Ironie. Anscheinend kam es israelischer Arroganz entgegen, amerikanische Loyalität zu verunglimpfen – als wäre dieses kleine zionistische Unternehmen ohne die drei Milliarden Dollar pro Jahr möglich gewesen! Ihr glaubt wohl, die USA könnten ihr Geld nicht für etwas Besseres ausgeben: Palästinenser in ihren Dörfern umbringen, wo si e seit Jahrhunderten gelebt hat ten! Aber wer führte diesen T-Shirt-Laden? Ein Palästinenser im arabischen Viertel, dem die Botschaften, die auf seiner Ware verbreitet wurden, so egal waren wie den streunenden Katzen, die er von seiner Ladentür verscheuchte.
Und am letzten Abend, erinnerte sich Lucy, als sie und der Professor aus einem netten jemenitischen Restaurant zurückkamen, den Geschmack des jemenitischen Tees noch auf der Zunge, hatten sie in der Nähe des Mehane-Yehuda-Viertels einen Rock’n’Roll-Club gesehen, der in jede westliche Stadt gepasst hätte. Und vor dieser Disco hatte eine Gruppe chassidischer Jungen gestanden, mit Hüten, Ohrlocken und schwarzen Anzügen. Einer der Jungen hatte verwegen sein Hemd aufgeknöpft; ein anderer, eindeutig betrunken und laut lachend, hatte seine schwarze Jacke über und über besteckt mit Buttons für Rock-bands und mit zionistischen Slogans. Hatten sich diese Jungs gegen den Willen ihrer Eltern heimlich aus der Mea-Shearim-Synagoge gestohlen, während zu Hause eine händeringende Mutter oder ein strenger, brüllender Vater wartete? Nein, Lucy glaubte das nicht. Es waren einfach ein paar Kids, die nach dem Sabbat eine wilde saturday night feierten. Heute tanzten sie zu Bon Jovi und Bei Biv Devoe, aber sie würden erwachsen werden und durch das arabische Viertel rennen, die Köpfe bedeckt und die Augen niedergeschlagen. Sie würden versuchen, die Luft der Ungläubigen nicht einzuatmen, und erleichtert den Staub von ihren Schuhen wischen, wenn sie die Synagoge in der Neustadt erreicht hatten. Auch hier zeigte sich wieder: Israel ist viel, viel komplizierter, als man es nach seiner ersten, zweiten, dritten oder, weiß Gott, auch hundertsten Einschätzung meint. Da waren die Moslems, die ihren Muezzin und ihren Ge betsruf nach der Omarmoschee ausrichteten, um nicht das Glockenläuten der gegenüberliegenden Grabeskirche zu stören, obwohl das Heilige Grab für sie eine Beleidigung war.
Oder die rührenden Schwestern Jesu, die ihren Laden mit religiösen Artikeln an der VII. Station des Kreuzwegs schlossen, um sich solidarisch mit den Arabern zu zeigen und am Streik teilzunehmen, obwohl sie Israel ihre Sicherheit verdankten.
Da war der Leserbrief eines älteren Zionisten, der das oft geäußerte Ansinnen, den Felsendom abzureißen und einen dritten Tempel zu errichten, für ästhetischen Blödsinn hielt, weil er den Dom mochte und von seinem Fenster aus sehen konnte.
Oder die anglikanische Schule voller palästinensischer muslimischer Studenten mit einem arabischen Bischof als Leiter, die Auslage von Yarmulkes in einem religiösen Geschäft, auf denen Mickymaus und Bart Simpson prangten. Warum war es egal, was auf dem Käppchen abgebildet war, wenn es andererseits so viel bedeutete, daß ein Mann es trug? Obwohl Israel von einem christlichen Land abhängig war, hatte die israelische Regierung in diesem Frühjahr heimlich versucht, jüdische Siedler ins christliche Viertel einzuschleusen, und so für eine unnötige Dissonanz zwischen den normalerweise verbündeten Christen und Juden gesorgt. Was für ein absurdes Ziel sollte dieser Plan verfolgen? Gab es auf der Welt noch ein Land, das so unergründlich war? »Sehen Sie mal, wen wir da haben«, sagte O’Hanrahan, der gerade in die al-Wad Avenue spähte, die aus dem arabischen Viertel herausführte: Colonel Westin und sein Landsmann, der kleine Mr. Underwood. »Versuchen Sie, sich zu ducken …«
»Jemand, den ihr kennt?« fragte der Rabbi.
Fast wäre der Colonel an O’Hanrahan vorbei und durch das Damaskustor gegangen, aber dann entdeckte er ihn doch, blinzelte, um sich zu vergewissern, nahm Mr. Underwood am Arm und führte ihn zu dem Tisch des Trios. »So, so, so, ist das nicht unser unerschrockener Mr. O’Hanrahan? Clem hat mir erzählt, daß er Sie in der Stadt gesehen hat, und hier
sind Sie tatsächlich.«
»Hier bin ich.«
Underwood lächelte Lucy an, und sie wandte instinktiv den Blick ab.
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