Der dreizehnte Apostel
Kaffee, nicht wahr?« Der Fahrer setzte O’Hanrahan vor einem einfachen Café mit Ei sentischen und Holzstühlen ab. In einem schwarzen Topf wurde starker arabischer Kaffee gebraut. Der rote Golf fuhr weiter, O’Hanrahan verwarf daher seinen früheren Verdacht. Die Sonne stand nun tief genug im Westen, so daß das Café , das nach Osten ging, im Schatten lag. Die schäbig gekleideten Männer mit der arabischen kafiyeh auf dem Kopf, alle aussehend wie Doppelgänger von Yassir Arafat, waren müßig, die Arbeit des Tages war getan – oder wurde vielmehr von ihren Frauen und Söhnen erledigt. Sie beobachteten O’Hanrahan nur mit mäßigem Interesse; ein Hund, der sich im Café herumtrieb, ein Straßenköter, schnüffelte an O’Hanrahans Hosenbein und zeigte kaum mehr Begeisterung.
»Patrick O’Hanrahan?« fragte ein jüngerer Mann mit arabischer Hakennase, der sehr klein und schlank war und in seinem westlichen schwarzen Anzug attraktiv wirkte. »Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«
»Mohammed Baqir al-Taki, und die Ehre liegt auf meiner Seite. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, Sir.« Der junge Mann sprach mit hoher Stimme und in ausgezeichnetem Englisch. Mit der rechten Hand rückte er die Stühle an dem Tisch zurecht, der für sie beide gedacht war.
»Ein Abkömmlin g des berühmten Autors der Haq qu al-Yaqin?« fragte O’Hanrahan.
Im selben Augenblick schien es, als müsse sein Gastgeber seine Rührung bezwingen. »O Sir, es ist wahr, was man von Ihnen sagt! Oh, wären Sie nur für den Islam geboren! Welche Ehren hätten wir Ihnen erwiesen! Wie wenig beachtet die christliche Welt die Blüte des Geistes, die Allah, der Gnädige und Großherzige, hat blühen lassen.«
O’Hanrahan nickte zustimmend, als der achtjährige Sohn des Besitzers eine kleine, halbvolle arabische Kaffeetasse vor ihn stellte. »Ein Schiit tief im Land der Sunniten?« fragte O’Hanrahan. »Ja, obwohl meine sunnitischen Brüder Gegenstand meiner täglichen Gebete um Aussöhnung sind. Meine Familie ist halb palästinensisch, halb iranisch.«
Eine höllische Mischung, dachte O’Hanrahan.
»Ich bin nicht vom Blut des Mohammed Baqir, auf den Sie angespielt haben, aber ich wurde zu seinen Ehren nach ihm benannt, Friede sei mit ihm …« Der Junge aus dem Café stellte einen Teller mit Dattelkek sen vor die beiden Männer und huschte davon.
»Haben Sie mich hierhergebracht, um mich in Versuchung zu führen?«
Der Araber lachte unbefangen. »Ah, Sie mögen es als Versuchung ansehen, Sie und Ihre Schriftrolle aus der westlichen Welt fortzulocken, gelehrter Profes sor«, schmückte er seine Rede aus und näherte sich der Sache auf arabischen Umwegen. »Aber ist es denn eine Versuchung, einem Mann wie Ihnen etwas zu unterbreiten, das zum beiderseitigen Wohle wäre? Die Leute, die ich vertrete, würden viel gewinnen durch ein solches Dokument, wie Sie es besitzen: nicht weniger als die Bestätigung der Prophezeiungen Mohammeds, Friede sei mit ihm.«
»Friede sei mit ihm. Sie, und wen auch immer Sie vertreten, werden einen langen Weg zurücklegen müssen, um mich in Versuchung zu führen«, sagte O’Hanrahan und nippte an dem bitteren schwarzen Kaffee, dem Zitronenschale eine saure Note gab. » Heute Vormittag hat man mir eine Million Deutsche Mark angeboten.«
» So viel Geld können wir nicht bieten, dafür aber eine hochgeehrte Position.« »Wir?« »Meine Universität.« O’Hanrahan war neugierig. »In der West Bank?« »In Teheran.«
O’Hanrahan war verblüfft, zeigte es aber nicht. »Eine Stelle für mich im Iran? Ich wette, irgendwo in einem Gefängnis.«
Al-Taki schüttelte den Kopf, die großen Augen glänzten feucht und ausdrucksvoll. »Oh, würde der Westen nur die wahre persische Gastfreundschaft kennen!«
»Lieber Freund, ich war im Iran, aber das war der Iran unter dem Schah, und ich fand die Menschen äußerst gastfreundlich, wie überall in der muslimischen Welt. Kein Volk hat einen Kodex größerer Freigebigkeit dem Fremden gegenüber. Aber Regierungen neigen nicht dazu, diese Nächstenliebe widerzuspiegeln.«
»Das kann man auch von den USA sagen, nicht wahr? Die Regierung ist eine Sache, aber die Leute selbst sind sehr, sehr gut.« Nein, dachte O’Hanrahan finster, die arabische Welt wäre traurig, wenn sie wüsste , wie hartherzig die Amerikaner geworden sind
– wie wir unsere Armen auf der Straße verkommen lassen, wie wenig wir uns bemühen, die fortwährende soziale Ungerechtigkeit auszugleichen, wie man im
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