Der dreizehnte Apostel
ich jetzt brauche.
(Habakuk 2, 16. Trinke nun auch du und schwanke!)
Nachdem O’Hanrahan sich in der Hotelbar des König David rasch ein p aar Drinks hinter die Binde ge kippt hatte, machte er sich auf den Weg zu Rabbi Herschs Büro und klopfte dort an die geschlossene Tür. Der Rabbi rief, er werde in einer Minute fertig sein, er beende gerade ein Gespräch mit zwei Studenten. Während der Reisen des Rabbi hatte sich ein Nachholbedarf an Doktoranden, die um Beratungs termine ersuchten, an Telefongesprächen, Korrespondenz und Fachbereichsnotizen angesammelt, die Morey an seiner Tür hatte hängenlassen. O’Hanrahan überflog die Notizen und übte sein Hebräisch. Da stieß er auf eine Notiz, die ihn fesselte: Philip Beaufoix, Rückruf am 6. 8. 90, 11.30 Uhr. Vor zwei Tagen. O’Hanrahans Mut sank noch tiefer.
So, Mordechai hatte es getan. Hatte Pater Beaufoix an der Amerikanischen Universität in Kairo angerufen. Ich soll ersetzt werden. Ich habe es schließlich zu weit getrieben; er sucht sich einen anderen Übersetzer. Und ich verdiene es wahrscheinlich, all die Missgeschicke , und wie ein ungezogener Bengel habe ich mich benommen …
Die Tür ging auf und zwei Studenten kamen heraus, begleitet vom Rabbi, der frisch und munter aussah. »Wo ist das Mädchen?« fragte er nach Lucy.
»Sie hat gesagt, sie werde um ein Uhr hier sein«, antwortete der Professor düster.
Lucy hatte einen weiteren Tag in Neujerusalem verbracht, Telefonanrufe erledigt, einen Bericht nach Chicago gefaxt – diesmal an die richtige Nummer –, Ansichtskarten verschickt und gefrühstückt. Weniger fröhlich verlief ihr erneuter Besuch in der Altstadt, da sich in Ostjerusalem, in der Nähe der Bushaltestelle, Unruhen zusammenbrauten. Sirenen, Krankenwagen, Lärm, und sie glaubte, Tränengas in der Luft zu riechen, obwohl der Wind weg von ihr wehte. Die Altstadt, gerade noch lebhaft und bunt, in der Händler und Marktschreier ihre Waren und köstlichen Happen feilboten, schien plötzlich feindselig: Ladeninhaber schlossen mitten am Vormittag hastig ihre Geschäfte und fluchten, als israelische Soldaten in die Straßen eindrangen.
Lucy stand vor der IV. Kreuzwegstation und sah zu, wie Soldaten paarweise durch die Via Dolorosa marschierten. Die palästinensischen Kinder beachteten sie gar nicht, sondern spielten weiter Ball. Einer der Jungen schoss den Ball hinter eine Kiste, wo der stecken blieb, hinter einem Soldaten. Schieß ihm den Ball zurück, dachte Lucy. Er ist doch nur ein Kind, was ist dabei? Aber der Soldat rührte sich nicht, und der kleine Araber beugte sich dicht am Kolben der Uzi zu der Kiste und stupste den Ball so lange, bis er sich löste und das Spiel weitergehen konnte. Nicht einmal eine Geste zu diesen Leuten, dachte Lucy und betrachtete den muskulösen Soldaten, der regungslos und stolz dastand. Traurig dachte sie, daß dieser Fünfjährige einer der Steine werfenden Intifada-Kämpfer der nächsten Dekade werden würde.
Nach einer Taxifahrt zur Hebräischen Universität traf sie sich wie verabredet mit dem Professor und Rabbi Hersch, die beide verärgert aussahen, auf dem Parkplatz. »Ich habe nicht vor, mit dir über jeden Anruf zu diskutieren, den ich tätige«, hatte der Rabbi gerade gesagt. »Er hat mich angerufen, und ich habe zurückgerufen, was geht das dich an. Es hatte mit der Buchbesprechung zu tun!«
Sie brachen ihren Streit ab, als sie Lucy sahen. Der Rabbi fummelte mit seinen Schlüsseln herum und führte sie zu einem hellblauen Sedan mit Nummernschildern von der West Bank, einem Wagen der Universität, erklärte er. »Seid ihr bereit für die Fahrt zum Kloster Mar Saba?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich fit genug bin«, stöhnte Lucy und rieb sich die Schulter, die noch immer von der Typhusimpfung schmerzte. »Ist es eine sehr holprige Straße?«
»Nicht allzu schlimm«, brummte O’Hanrahan. »Das heißt, wenn Morey nicht über Kairo fährt, um diesem Mann weitere Reverenzen zu erweisen …«
»Hör dir das an! Zerfressen von Neid!«
Lucy wollte Frieden stiften und sagte daher rasch: »Mar Saba möchte ich natürlich gerne sehen. Aber die West Bank, die wir durchqueren müssen, macht mich natürlich etwas unruhig.«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte sie der Rabbi. »Es sind nur fünfzehn Meilen.«
»Und du willst diese Yarmulke tragen, wie?« fragte O’Hanrahan, als sie einstiegen.
Rabbi Hersch befühlte seinen Kopf. »Du willst, daß ich sie abnehme? Vielleicht sollte ich
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