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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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auf die Hände und die Augen, die das Licht sahen, sogar gesichtslos. Dies so heiligmäßige Gebaren verfehlte seinen Eindruck auf mich nicht, zumal Maria mich unterrichtete, daß die Frauen sich nicht einmal gegenseitig beim Ausziehen oder beim Baden zusehen durften und sehr züchtig unter ihren Schleiern alle kahlgeschoren seien, so daß auch der heftigste Windstoß ihnen zwar vielleicht die Schleier abreißen, aber keine verheimlichte Haarpracht, keine private Üppigkeit hätte offenbaren können.
    In der Küche gab man mir etwas zu essen und Wein.
     
    22.
    Während meines ganzen Aufenthalts im Kloster sah ich von Maria nur die alten Augen, welche Masse und Gestalt sie unter ihren Gewändern verbarg, konnte ich nicht einmal ahnen. Wie einst die Essener, jene wahren Frauenhasser, hatte sie es verstanden, den grobsinnlichen Reiz weiblicher Fleischlichkeit aus ihrer Welt zu verbannen.
    Maria sagte zu mir: »Ich habe dich schon seit einiger Zeit erwartet. Denn vor einigen Jahren schrieb mir die Frau des Thomas, daß du eine Geschichte schriebest und dich mit Zweifeln quältest. Dann erwähnte, neben anderen wichtigeren Angelegenheiten, einmal Petrus, daß du deinen Glauben verloren habest.«
    (Ich war entsetzt zu erfahren, daß meine unschuldigen Fragen sich soweit herumgesprochen hatten!)
    Maria sagte: »Nein, es hat keinen Zweck mich anzulügen. Ich kann dir an den Augen ansehen, daß des Glaubens Licht darin erloschen ist. Ich frage mich allerdings, ob es jemals daraus geleuchtet hat.« Ich aß schweigend, während sie weiterredete.
     
    23.
    Sie sagte zu mir: »Wir sind nach Thmuis gekommen, um den Männern fern zu sein.«
    »Sehr gut«, meinte ich, »ist’s, wenn Frauen das in ihrer Macht Stehende tun, den Mann vor der Versuchung zu bewahren.« Sie sagte zu mir: »Mein Bruder Matthias, wir sind vielmehr bemüht, uns selbst von der sogenannten Gelehrsamkeit und wahren Engstirnigkeit der Männer zu befreien. Sieh doch an, was deine Geschlechtsgenossen aus Jerusalem und dem Königreich Judäa gemacht haben. Die Römer waren noch die geringsten unserer Feinde. Hier halten wir die wahre Lehre des Meisters am Leben.«
    Ich teilte ihr mit: »In Oxyrhynchus, liebe Maria, sind manche der Meinung, du seist das Haupt der Jüngerschaft des Meisters. Und ich habe mich hierher bemüht, unter anderem, um dir bei der Formulierung deines ausdrücklichen Verzichts auf solchen Führungsanspruch und den Dementis dieses Gerüchts behilflich zu sein.«
    Die geheimnisvollen Augen starrten mich eine ganze Weile an, und endlich, nach langem Schweigen, sagte die vermummte Frau: »Nicht ich habe je nach meiner Erhöhung getrachtet, erhöht haben mich andere, die mich beobachteten. Ich überlasse es dir, das deines Erachtens Erforderliche zu veranlassen. Mir scheint, daß du dich auf dergleichen Trivialitäten besser verstehst als ich.«
     
    24.
    Maria führte mich in eine Bibliothek, wo die Frauen lasen und abschrieben. Die Frauen! Maria sagte zu mir: »Diese Schriftrollen enthalten die Worte des Erlösers, soweit ich mich ihrer erinnere. Marjam von Bethanien hat gleichfalls einige Erinnerungen beigetragen, ebenso wie Maria, die Frau des Alphäus, die oft mit Ihm gesprochen hat. Desgleichen Johanna, Susanna, Lea und ihre Schwester Agrippina und natürlich Procia.14 Jede Lehre, die der Erretter Frauen gelehrt hat, jedes Gleichnis, dessen sich eine erinnert, habe ich aufgezeichnet.« Und hatte sie auch die Märtyrerakten des Jakobus, die Episteln Petri, vielleicht sogar die heterodoxen Ergüsse des Thomas? (Natürlich schämte ich mich, da ich einmal den Verlust meines Glaubens eingestanden hatte, zu fragen, ob auch ein Exemplar meiner Widerlegung aller Häresien in ihrer Bibliothek vorhanden sei.)
    Sie sagte zu mir: »Von Männern habe ich hier wenig, denn Männer verzerren alle Geschichten, stellen sich immer selber in den Vordergrund und reden mehr als über die Sache über sich selber; wenn sie nicht, was noch schlimmer ist, statt von dem, was pas siert ist, von etwas anderem re den, auf das sie hinauswollen. Unser Meister verbrachte den größten Teil Seiner Zeit in dieser Welt mit Frauen, und ich habe die letztvergangenen vierzig Jahre damit zugebracht, deren Erzählungen und Erinnerungen zu sammeln.«
     
    25.
    Es muss gesagt werden, daß die Gründlichkeit von Marias diesbezüglichen Veranstaltungen wirklich einschüchternd war. Und man wird wohl sagen dürfen, daß das große Vermögen ihrer Familie ganz auf dieses Unternehmen

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