Der dreizehnte Apostel
würdigen Frauen, soviel würdiger als ich, denen es nicht vergönnt war, den Erlöser zu sehen! Und doch war ich es, die Jahre an Seiner Seite erleben durfte. Wie du vielleicht weißt, waren wir verlobt.« Ich hatte davon gehört. Die Verbindung hatten beider
Eltern arrangiert. Unser Meister, Sproß einer der angesehensten Familien von Bethlehem, war der Maria, Tochter der führenden Familie von Magdala, anverlobt worden. Die Hochzeit sollte mit großem Aufwand in der Synagoge von Kapernaum gefeiert werden.
Maria von Magdala sagte zu mir: »Er trug mir eine höhere Ehe an, in welcher ich in die Mysterien der Seele eingeweiht wurde und einen Vorgeschmack des Himmels empfing. Ich kann nicht davon sprechen. Ich habe es auch nicht aufgeschrieben. Dieses Wissen war für mich allein bestimmt, glaube ich.«
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In Fortsetzung meiner eigenen Nachforschungen fragte ich sie: »Wie war der Meister in Seiner Jugend?«
Sie sagte: »Vollkommen schön, mit aller Anmut und Liebenswürdigkeit ausgestattet. Nie wieder wird die Welt Seinesgleichen sehen.« Abermals füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie sagte dann: »Ich denke oft an unsere Wiedervereinigung im Himmel und frage mich, ob ich dort Seine Braut sein werde. Er sagte Worte, die ich so deuten könnte, aber ich hüte mich selbst in meinen Träumen vor der Versuchung, das zu tun … aus Furcht vor Gotteslästerung.«
Ich billigte diese weise Vorsicht nachdrücklich, und dann fragte ich sie, meine diesbezügliche Schüchternheit tapfer missachtend : »Erinnerst du dich, ob der Meister jemals etwas Gutes oder Schlechtes über mich gesagt hat?«
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Sie antwortete nicht, doch beim Abschied sagte sie zu mir: »Du gehst nun nach Elephantine, um Bestätigung für einen Zweifel zu suchen. Unser Meister würde dir sagen, daß du die Reise besser machen solltest, um Bestätigung deines Glaubens zu erlangen. Wie Er mir einst sagte: ›Wer nach Gründen sucht zu zweifeln, wird reichen Lohn finden in dieser Welt. Wer aber nach Gründen sucht zu glauben, wird seinen Lohn im Himmel finden!‹«
Ich gestand Maria, daß ich mich unwiderstehlich gedrungen fühlte, die Wahrheit über Benjamin und die verleumderische Erzählung von seinem Grabraub herauszufinden. Wie sehnte ich mich danach, die Unwahrheit dieser Erzählung beweisen zu können! Aber so oder so, ich musste herausfinden, ob ich falschen Wegen gefolgt war, mein Leben an eine Täuschung verschwendet hatte! Und schließlich sei ein ehemaliger Sklave, der nun im fernen Elephantine aus der Welt zurückgezogen wie ein König lebte, doch ohne Zweifel einigermaßen verdächtig. Dann sagte Maria zu mir: »Kennst du die selige Weisheit?«
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Ich sagte: »Ich habe während meiner Studienzeit in Alexandrien die gesamte Weisheitsliteratur gelesen.«
Maria sagte zu mir: »Wahrlich nur geringen Nutzen hast du, lieber Bruder, aus dieser Lektüre gezogen. Unser Meister sagte einst, als ich Sein Gleichnis verstand, ohne Seiner Erklärung desselben zu bedürfen, daß Männer Dinge lesen und sie dennoch nicht kennen, während Frauen Dinge kennen, die sie nie gelesen haben.«
Sie sagte weiter zu mir: »Nein, du kannst keine Bekanntschaft mit der Sophia haben, sonst würdest du nicht auf diese Reise des Zweifels gehen, um dir anderer Leute Lügen und Entstellungen der Wahrheit plausibel machen zu lassen. Aber gehe ruhig, wenn du denn musst . Ich werde beten, daß Sie bei dir sein möge. Du kannst dir nicht vorstellen, wie Sie mich hier in der Wüste allezeit gestützt und getröstet hat. Ich frage mich manchmal, ob ich bei allen meinen Erinnerungen an den Meister auch nur das mindeste verstanden hätte, stünde nicht Sie mir bei.« Dann begab sich Maria ins Innere des Klosters, kehrte jedoch einige Minuten später zum Tor zurück und händigte mir ein versiegeltes Reliquienkästchen aus, so klein, daß ich’s bequem in die Tasche stecken konnte.
»Was ist da drin?« fragte ich.
Sie sagte zu mir: »Eine Handschrift. Und wenn du die gesuchte Antwort gefunden hast, nicht vorher, solltest du sie lesen. Sie ist von einem nun schon abgeschiedenen Mann, der Sophia gekannt hat. Denn vielleicht gelingt es dir, die Unwahrheit der Erzählung dieses Sklaven Benjamin zu beweisen, gelehrter Jünger; daß du damit auch deinen Glauben zurückgewinnst, ist aber durchaus nicht sicher. Denn den kann nur Sophia dir wiedergeben.«
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Dann, mit großer Erregung und mit blitzenden Augen, sagte sie zu mir: »Ich habe alles für Ihn
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