Der dreizehnte Apostel
hätte dich überhaupt nicht sprechen lassen sollen. Solange meine Berufung unange zweifelt war, konnten wir hier ohne Neid und Gehässigkeit miteinander leben. Aber schon jetzt haben die Kirchenältesten angefangen, um den Sitz des Hierarchen zu konkurrieren … Ach, was hast du da in Gang gesetzt? Du hast uns in Zweifel geführt. Und zwar nicht Zweifel, wie sie jeden Menschen plagen, sondern, vergib mir, mein Freund, deine ganz persönlichen Zweifel. Es wäre schwer, dich hier als einen der Führer der Gemeinde zu ehren, da doch dein eigener Glaube so schwankend ist.«
17.
Ich demütigte mich und sagte zu ihm: »Dann will ich als der niedrigste der Gläubigen unter euch bleiben!«
Er lehnte das Ansinnen ab und sagte: »Es würde zuviel Unruhe verursachen, daß ein Mann, der den Meister von Angesicht gesehen und Seine Stimme vernommen hat, in Zweifel gefallen ist. Vielleicht solltest du mit jemandem sprechen, der dir in Erinnerung rufen könnte, was ihr beide mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört habt. Das Kloster ist ja nicht weit von hier.«
Mein Herz hüpfte bei dieser Erwähnung eines anderen, echten Jüngers, der offenbar dort irgendwo in der Nähe in einem Kloster sich aufhielt. War es vielleicht der schon vor langer Zeit verschollene Matthäus? »Maria von Magdala, das Haupt der Jünger«, erwiderte er auf meine Frage.11
Maria! Eine Frau. Unser Oberhaupt! Wie in aller Welt er denn auf die Idee komme, fragte ich.
Er sagte zu mir: »Aber ist das denn nicht allgemein bekannt? War sie denn nicht wirklich dem Meister von allen am nächsten?«
18.
Ich erinnerte mich dieser Maria mit Achtung. Sie war eine reiche Frau und intelligent, in dem Maße, in dem letztere Eigenschaft einer Frau ansteht. Ich war überzeugt, daß sie – wenn man ihr zur Kenntnis brächte, daß die irrtümliche Auffassung Raum greife, sie, nicht Petrus, sei das Oberhaupt der Jünger – nicht zögern werde, die erforderlichen Rundschreiben ausgehen zu lassen, den Irrtum zu berichtigen. In der Tat meinte ich sie zur Veröffentlichung einer diesbezüglichen Erklärung veranlassen und so die weitere Ausbreitung dieser Häresie verhindern zu können! (Du wirst dir vorstellen können, wie hart es mich ankam, zur Verhinderung des weiteren Verfalls der Kirche genötigt zu sein, den Sockel ausgerechnet dieses unfähigen Simon Petrus zu verstärken.)12
19.
Als ich in der folgenden Woche in Thmuis anlangte, ließ ich mich dort alsbald an die Pforte des Klosters führen. Ein amazonenhaftes Mädchen stand mit Pfeil und Bogen auf der Mauer, und bei der geringsten verdächtigen Bewegung hätte mich zweifellos ihr Pfeil durchbohrt. Nachdem ich mein Begehren geäußert, erschien Maria selbst an der Pforte und redete durch ein Schiebefenster in derselben mit mir. Sie war ganz in schwarze Gewänder gehüllt, die von ihrem Körper nur die Augen sehen ließen. »Du bist es also wirklich, Matthias«, sagte sie. »Aber warum sollte ich dich hereinlassen?«
Ich sagte zu ihr: »Aber liebe Maria, ich bin ein Jünger des höchstgeliebten Meisters und Lehrers!«
20.
Maria sagte zu mir: »Du hast mich immer verachtet und herabgesetzt. Mein Interesse an der Lehre des Meisters hast du lächerlich gemacht und wolltest mir einreden, das sei nichts für Frauen. Ich werde dir natürlich Nahrung und Wasser reichen lassen, aber ich sehe keinen guten Grund, dich ins Haus aufzunehmen.«
Ich widersprach ihren Anklagen und sagte, nie sei ich bewusst und willentlich unfreundlich zu ihr gewesen; tatsächlich habe ich in Gesellschaft des Lehrers nie auch nur einen Gedanken an sie verschwendet. Sie sagte zu mir: »Genau diese Unfreundlichkeit meinte ich. Du und Johannes: Beide seid ihr Frauenhasser.« Ich kann ohne Übertreibung sagen, daß ich demütig wie ein Bettler Maria um Einlass bat, und überdies widmete ich ihr einen aus dem Stegreif gedichteten Psalm, in dem ihre lebenslängliche und beharrliche Keuschheit gepriesen wurde.13
Endlich gab sie nach und sagte: »Genaugenommen hatte ich dich schon erwartet.«
21.
Die Pforte wurde geöffnet, was mit einem Rasseln von Riegeln und Bolzen geschah. Die Frauen waren gut behütet, wie es ja leider in der römischen Welt erforderlich ist, das köstliche Gut jungfräulicher Reinheit hinter Schloss und Riegel zu bewahren. Man begleitete mich über das ummauerte Gelände, und ich betrachtete die vollkommen verhüllten Frauen, die es bewohnten, anscheinend geschlechtslos und bis
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