Der dreizehnte Apostel
verschwendet worden ist. Ich fragte, ob dessen weitere Finanzierung gesichert sei.
Sie sagte zu mir: »Die Frauen selbst finanzieren es, Wit wen mit ihrem Erbteil, Prostituierte mit ihrem Schatz.«
Da hatte man also gemeine Straßendirnen, Huren, Kurtisanen, Ehebrecherinnen und Verbrecherinnen wer weiß noch welcher Art, die hier zweifellos gern Zuflucht vor Entdeckung und Bestrafung gesucht hatten und also andächtiges Studium dieser inorthodoxen Texte heuchelten, als wären sie die Schule Gamaliels! Diese zusammen geschmierten Erinnerungen von Frauen, die keinerlei Ausbildung in den Künsten der Rhetorik, keinen historischen Unterricht, keine Einführung in die Theologie genossen und von Komposition keinen blassen Schimmer hatten. Und doch, nun, da ich viel Zeit gehabt habe, darüber nachzudenken, fühle ich mich von Marias Vorwürfen irgendwie getroffen, und vielleicht ist sie nicht ganz auf dem falschen Wege gewesen. Denn es mag doch irgendwie im Sinne des Meisters gewesen sein, der ja von den Tugenden und intellektuellen Fähigkeiten der Frauen tatsächlich eine sehr ho-he Meinung hatte. (Ach, Tesmegan hat mich gerade unterbrochen und mich darauf hingewiesen, daß in diesem lächerlichen Königreiche hier alle Lehrer Frauen sind. Wahrlich, da zeigt sich wieder, daß ich hier wirklich in eine verkehrte Welt geraten bin.)
26.
Maria sagte dann zu mir: »Während Johannes und die anderen Männer sich darüber stritten, wer der Größte sein werde im Himmelreich – wie verzogene Kinder15, saß ich zu Seinen Füßen und stellte Fragen. Überdies besprach Er mit mir auch Dinge, die Er den Zwölfen verschwieg, denn Er wusste , daß ich sie nicht entstellt weitererzählen oder versuchen würde, mich mittels meines privilegierten Wissens zu erhöhen.«
Auch ich setzte mich nun auf die lange Steinbank, die ziemlich unbequem konstruiert war, wohl in der Absicht, dem an diesem Ort Studierenden keine Bequemlichkeit zu gönnen. Maria legte mir ihren Bericht über den Erden wandel des Lehrers der Rechtschaffenheit vor. Ich begann zu lesen.
Die Kalligraphie ließ zu wünschen übrig (wenn die Handschrift auch gut leserlich war), doch das Griechisch des Textes war elegant und tadellos.
27.
Ich kann hier keine Kopie ihres Berichts einfügen, weil ich keine zur Hand habe, aber das Bild des Meisters, das daraus aufschien, kann ich wohl versuchen zu skizzieren. Diesem Bild zufolge war Er verletzbar und pessimistisch, ja oft sogar verwirrt und beleidigt, alles in allem schwächer, als ich Ihn in Er innerung hatte. Zeigte Er sich vielleicht tapfer uns gegenüber, gestand aber Seine Unsicherheiten den Frauen, bei denen Er Verständnis dafür zu finden hoffen konnte? Ich meine, damit wir uns nicht missverstehen , hinsichtlich Gottes und Seiner Sendung war der Meister immer zuversichtlich – wenn Er lehrte und erörterte, war Er unschlagbar, denn in den dazu erforderlichen Künsten war Er geschickter als irgendein Mensch. Doch in Marias Geschichte lernte ich einen Mann kennen, dem es an Zuversicht mangelte, ja einen, der sich nicht scheute, eine geradezu zynische Illusionslosigkeit zu bekennen. Nicht in betreff Gottes oder Seiner eigenen Sendung, doch mit Hinsicht auf uns, Seine Nachfolger und Seine noch ungeborenen zukünftigen Nachfolger. Wie bang hielt ich während des Lesens Ausschau nach meinem Namen, in der Furcht, lesen zu müssen, daß es Ihm nicht geraten schien, in gewisse Geheimnisse auch mich einzuweihen, daß Er etwa Zweifel an meiner Berufung zum Apostelamt geäußert habe. Doch obgleich mitunter von anderen Jüngern die Rede war, fand ich weder meinen Namen noch sonst ein Wort über mich selbst. Noch jetzt steigen mir bei der Erinnerung Tränen in die Augen. Wer war ich denn, daß der Lehrer der Rechtschaffenheit, der Verratene und Hingeopferte, mich hätte bemerkt haben sollen?
28.
Maria hat eine Prophezeiung des Meisters über die Zukunft der von Ihm ins Leben gerufenen nazaräischen Bewegung festgehalten. Wie Maria sich derselbe n erinner te, hatte der Erlöser vorausgesehen, daß Seine Nachfolger eine Priesterkaste ausbilden würden, die nicht einen Deut besser oder weniger im Irrtum und Hochmut befangen wäre als die Pharisäer. Und daß die Frauen, die sich der Anmaßung dieser Priester widersetzen wollten, mit Verfolgung rechnen müssten . Dennoch hat (wenn sie sich recht erinnert) der Erlöser Maria ermahnt, sich der Anmaßung dieser Kaste nie zu beugen und niemals auf den besseren Teil zu
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