Der dreizehnte Apostel
Philippus bist!« Pseudo-Philippus sagte zu mir: »Niemand würde dir glauben.«
13.
Ich erklärte ihm, daß man im Gegenteil mich als wahren Jünger erkennen werde.
Darauf sagte er, nun höchst unfreundlich: »Wie denkst du dir das? Wo hast du die Frohe Botschaft verkündet? In einer Bibliothek, wenn ich nicht irre. Die Leute hier werden dir nicht glauben, denn sie haben Wunder gesehen, und das Leben, das wir hier führen, ist ihnen lieb, das Leben, das uns der Meister gelehrt hat.«
»Wunder?« fragte ich der unglaubhaften Behauptung nach.
14.
Er seufzte, wie von Müdigkeit übermannt. Er sagte zu mir: »Ich meine nichts Spektakuläres, keine Speisung der fünftausend, keinen Zug durchs Rote Meer. Aber alte Witwen, die lebensmüde waren, haben ihren Lebensmut wiedergefunden. Kinder, die Hunger und Krankheit litten und von Dämonen geplagt wurden, sind jetzt gesund und munter. Und unser Türhüter Lewi. Jede Nacht, die Gott werden ließ, schlug er sei ne Frau windelweich, obwohl er übrigens sehr gesetzestreu war und zur Gemeinde einer der feinsten Synagogen in Alexandrien gehörte. Hier hat er die Lehre des Meisters vernommen und all seine Habe mit uns geteilt. Und sobald er aufhörte, sich seines Geldes wegen Sorgen zu machen, hat er aufgehört, seine Frau und seine Kinder zu schlagen. Solche Wunder meine ich.« Mir wurde, da ich diesen listigen Reden lauschte, klar, daß mir nichts anderes übrigblieb, als den gerissenen Hochstapler zu entlarven. Ich bat ihn, mich in den Gemeindesaal zu führen, was er schließlich schicksalsergeben tat, das heißt, er führte mich auf den Platz vor dem Tor der Synagoge, wo die Ältesten schon versammelt waren; andere kamen hinzu, auch Frauen aus ihren Küchen. Man ersuchte mich, auf einen Felsen am Rande des Gartens der Synagoge zu steigen.
15.
Dann geschah etwas sehr Ärgerliches, das dich vielleicht bestürzen wird. Ich erklärte, daß ich ein wahrer Apostel sei, einer der ursprünglichen gesegneten zwölf, und die Leute glaubten mir nicht! Und schlimmer noch, als ich versuchte, dem Pöbel zu erklären, daß der angebliche Philippus auf den Namen und Rang dieses Jüngers tatsächlich keinen Anspruch habe und also abgesetzt werden solle, erzürnte sich jener Weiberschinder Lewi und entblödete sich nicht, sein Mütchen an mir zu kühlen. Ich fühlte mich plötzlich beim Gewand gepackt und zu Boden geworfen. Man sagte mir, ich sollte auf der Stelle ein Wunder tun und Crassus einen Zweikampf anbieten, um Gott Gelegenheit zu geben, unmissverständlich zu zeigen, welcher von uns beiden Sein Mann sei. Als ich mich weigerte in dem Bewusstsein , daß ich für diese Sorte Beweisführung nicht begabt bin, schrie ein Mann: »Weshalb kommst du hierher und stiftest Unruhe?« Während ein anderer rief: »Scher dich zurück in die Trümmer Jerusalems, du Pharisäer.« Und dergleichen mehr.
Man trug mich wieder vor das Tor und setzte mich draußen in den Sand. Das Tor wurde hinter mir abgeschlossen. Da lag ich, voller Beulen und blauer Flecke, und bedachte, wie Crassus diesen Leuten den Geist vernebelt hatte – mit Opium hätte er’s nicht besser vermocht. Ziemlich eine Stunde nach meinem Hinauswurf fand er sich übrigens bei mir ein mit einem jungen Mädchen, das mir die Wunden mit Linnen und warmem Wasser auswusch.
16.
Er sagte zu mir: »Was also hat dein Rang dir diesmal genützt, Freund Matthias?«
Ich sagte ehrlich und zutiefst deprimiert, daß er mir sehr wenig genützt habe. Vielleicht ist ein Hochstapler – wie mir jetzt einfällt –, wenn er denn den Lehren des Meisters folgt, immer noch besser als ein nutzloser Jünger. Silos, Linus, Timotheus Agrippa: Die nazaräische Kirche wird inzwischen ja mehr und mehr von Leuten geleitet, die keine Jünger gewesen, ja dem Lehrer der Rechtschaffenheit nie begegnet waren. Ich erklärte dem Pseudo-Philippus: »Ich bin auf einer Forschungsreise begriffen, weil ich die definitive Geschichte des Lebens des Meisters schreiben will; als ich von dir hörte, war ich unterwegs nach Elephantine, um mich davon zu überzeugen, daß ein gewisses verleumderisches Gerücht, das mir zu Ohren gekommen war, jeder faktischen Grundlage entbehrt. Aber vielleicht könnten wir’s noch einmal versuchen. Ich könnte hier übernachten und noch einmal versuchen, zu deiner Gemeinde zu sprechen.«
Er sagte zu mir: »Mir wäre es lieber, du verzichtetest auf dieses Vorhaben. Schon hast du in diesem Dorfe die Samen des Zweifels gesät. Ich
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