Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
Vom Netzwerk:
und einmal, als gerade wieder der Nil schimmernd zu sehen war, sahen sie eine Feluke, die gegen den Strom fuhr.
    Lucy hatte sich die Fahrerkabine genau angesehen, die liebevoll dekoriert war mit blinkenden Lämpchen, verblassten Wimpeln, Papierstreifen mit heiligen Sätzen auf Arabisch , einem vergilbten Foto von Mekka aus einem Magazin, das auf das Armaturenbrett aufgeklebt war, und einem Foto von Mohammeds Sohn in der traditionellen Aufmachung für den Beschneidungstag, das auf der Rückseite der Sonnenblende klebte. O’Hanrahan, der Lucys Interesse für das Foto bemerkte, begann mit einem Vortrag über die Beschneidung und erklärte, sie werde bei Jungen oft während eines Dorffestes vorgenommen. Mohammeds Sohn war ein hübscher Bursche, um die dreizehn, und seine Augen verrieten Angst vor der öffentlichen Zurschaustellung, die ihm bevorstand. »Und die meisten Eingeborenen«, flüsterte O’Hanrahan, »beschneiden die Mädchen, wenn sie neun oder zehn sind.«
    Lucy musste eine Minute überlegen. Die Mädchen beschneiden? »Warten Sie, Sie meinen doch nicht …«
    »Ganz genau das meine ich: die Entfernung dieses Organs der Lust.« O’Hanrahan amüsierte sich über Lucys empörten Ausbruch gegen dieses Gemetzel.
    »Die UNO müsste dem ein Ende machen«, stammelte sie.
    »Hehehe, einer Frau, die nicht von sexuellem Begehren beherrscht sein kann, kann man trauen, daß sie ihren Mann nicht mit einem besseren Liebhaber betrügt. Ich frage mich allerdings, wie effektiv das ist. Man sollte meinen, daß andere Körperteile als erogene Zonen einspringen. Dabei fällt mir der Stamm der Rasheda im Sudan ein. Als kostbarstes Gut einer Frau gilt dort das Kinn, es wird immer verborgen gehalten. Vi elleicht sehen Sie ein paar im S ouk, dem Markt von Khartum. Auf jeden Fall betteln die Mädchen hier um diese Operation und freuen sich darauf, und Frauen vollziehen den Eingriff. Einer Mutter bräche das Herz, wenn ihre Tochter nicht beschnitten würde.«
    Lucy wurde von dem Thema abgelenkt: Ihre Eingeweide machten sich unangenehm aufgewühlt bemerkbar, und ihr Hintern schien wund zu sein. Vielleicht, dachte sie böse, h at die Fahrt auf dieser holpri gen Straße ihr Gutes: Vielleicht habe ich einen Ab-gang.
    (In der Tat ein böser Gedanke.)
    Hey, das ist meine Schwangerschaft. Ich kann böse Gedanken haben, soviel ich will.
    (Eine Fehlgeburt würde dir eine Entscheidung ersparen, meinst du.)
    Es würde alles leichter machen.
    (Willst du riskieren, in der Sahara zu verbluten?)
    Nein, ich denke nicht. Hey, wahrscheinlich bin ich überhaupt nicht schwanger.
    (Und wenn doch?)
    Schon wieder dieses Thema? Na gut, seufzte Lucy im stillen, es ist ja auch schon vierzig Minuten her, seit ich das letztemal daran gedacht habe … Wenn ich mir vorstelle, was es heißt, allein ein Kind großzuziehen, und was das aus meinem Leben machen würde, dann sehe ich eine Leere – das Ganze scheint mir oh-ne Realität –, als ob ich aus Versehen in einen schlechten Film geraten wäre. Abtreibung ist wahrscheinlich ausgeschlossen. Ja, wenn es Judy wäre, würde ich ihr wahrscheinlich dazu raten. Aber nun geht es um mich, und die Leute mögen sagen, daß ich verkorkst bin durch den Katholizismus, von Schuldgefühlen zerfressen und so weiter – aber ich weiß, daß ich leichter mit neun Monaten Schwangerschaft leben könnte als mit einer Abtreibung. Außerdem hat eine Schwangerschaft die richtigen Elemente einer Bestrafung für meine Sünde. Das wird mir eine Lehre sein, konstatierte sie kalt. Ich werde die Drangsal als Teil der Strafe für meine Sünde der Dummheit ertragen …
    »Der Assuan-Stausee«, begann O’Hanrahan und wischte sich über die feuchte, staubige Stirn, entschlossen, die Unterhaltung wiederzubeleben, »hat ungefähr hundert Denkmäler von historischem Interesse überflutet. Nubien, Kusch, die nördlichen Gebiete von Meroë, tausend Hinweise unter Wasser …«
    Meine Mom, dachte Lucy. Was für ein glücklicher Gedanke. Sie spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, wie immer, wenn sie an ihre Familie dachte. Ihre Familie, die Zuwachs bekommen würde.
    Die Mutter würde vermutlich noch besser auf die Neuigkeit reagieren als ihr Vater. Natürlich würde sie sich grämen und der Tochter Vorwürfe machen, aber nach einer völligen Unterwerfung Lucys würde ihre Mutter die ledige Schwangerschaft ihrer Tochter stolz in ihrer Märtyrerkrone tragen, als ein weiteres Geschenk an Leid, das ihr zuteil wurde. Dad würde die Sache als das

Weitere Kostenlose Bücher