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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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ihrer Mutter all die engelhaften Enkelkinder geschenkt hatte, die die beiden anderen Töchter ihr verweigerten. Ceece wollte Lucy ihre Karte nicht aushändigen, aber Mrs. Dantan bestand darauf, flehte und war kurz davor, in Tränen auszubrechen, wenn sie sich Lucy in Notfällen, in höchster Lebensgefahr, als Opfer von Terroristen, Sturmfluten oder anderer Naturkatastrophen vorstellte, und hatte Cecilia schließlich in einem katastrophengesättigten Monolog, der eines Euripides würdig gewesen wäre, überredet, Lucy die Karte für die Dauer der Reise zu leihen. Kreditlimit 1000 Dollar. Lucy könnte sich ein Darlehen von der Karte nehmen und Cecilia das Geld später zurückzahlen, wenn O’Hanrahan es ihr zurückzahlte … Aber sehen wir den Tatsachen ins Gesicht, seufzte Lucy, das wird wohl nie der Fall sein. Sie beschloss , in der Codrington Library darüber nachzudenken. Lucy betrat den großen Saal erneut, der nun wieder zu seiner georgianischen Steifheit als totenstiller Ort des Studiums zurückgekehrt war. Und des Schlafs, dachte Lucy, als sie einen jungen Studenten erspähte, dessen Kopf auf das altmodische Schreibpult gesunken war. Sie ging weiter in den Ka talogsaal , ohne recht zu wissen, was sie eigentlich wollte. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte eine andere Frau als am Vortag hinter dem Schalter.
    »Äh, ja«, antwortete Lucy zu ihrer eigenen Überraschung. »Ich bin Dr. O’Hanrahans Assistentin von der Universität Chicago.«

»Oh, der.«
    »Ja, ich soll die Bücher holen, die Dr. O’Hanrahan gestern bestellt hat …«
    »Ich verstehe«, flötete die Dame.
    »Aber wenn Sie es ganz korrekt haben wollen«, erklärte Lucy und profitierte von dem Schrecken, den O’Hanrahan verbreitete, »kann ich ihm natürlich ausrichten, er soll selbst herkommen und Ihnen sagen, was er bestellt hat …«
    »Ich hole die Bücher sofort«, flüsterte die Dame. Lucy betrachtete die übrigen Bibliotheksangestellten; jede von ihnen trug eine Brille mit Kettchen, lauter ältere Frauen ohne Ehering und in konservativer englischer Kleidung.
    Der Stapel kam. Sir E. A. W. Budges Contendings of the Apostles, auf Amharisch , wie Lucy bemerkte. Erschienen 1901. Nächstes Buch: etwas von Flamion, auf Französisch , Les Actes apocryphes de l’Apôtre André, Louvain 1911. Das nächste war die Reproduktion einer alten Ausgabe des angelsächsischen Andreas; auf dem Ledereinband prangte der Verfassername, Cynewulf, und eine römische Zahl verriet, daß es 1623 erschienen war. Origenes’ Schrift Über Lukas. Die Stromateis des Clemens von Alexandria. Der gesamte Hippolytos, der gesamte Sophronius … Pflichtgetreu notierte sie die Titel in ihr Notizbuch.
    »Haben Sie eine Ausgabe der Bibel da?« fragte Lucy die Dame hinter dem Schalter.
    »Ungefähr 546. An welches Jahrhundert und welche Sprache dachten Sie denn?«
    »Eine normale Bibel genügt.«
    Die Frau führte sie zu einem Regal mit Nachschlagewerken, in dem die King James Bible und die moderne Standardausgabe standen. Lucy blätterte im Notizbuch eine neue Seite auf und notierte die Apostel, wie sie im Matthäusevangelium standen.
    Petrus Thomas
    Andreas Matthäus
    Jakobus bar-Zebedäus Jakobus bar-Alphäus
    Johannes bar-Zebedäus Thaddäus bar-Jakobus Alphäus
    Philippus Simon der Kanaaniter (der Zelot)
    Bartholomäus Judas Ischarioth
     
    Wider Erwarten fand sie im Johannesevangelium keine Liste der Apostel. Wichtiger war aber, daß dort ein weiterer Jünger erwähnt war, der bei den anderen nicht auftauchte: Nathanael. Die Kirche war der Meinung, Nathanael sei identisch mit Bartholomäus, aber Lucy fragte sich, ob O’Hanrahan vielleicht etwas wusste , was die Kirche nicht wusste . Wahrscheinlich hatte der Jünger Nathanael bar-Tolomai geheißen. Lukas erwähnte einen zweiten Judas, Sohn des Jakobus bar-Alphäus. Dieser Judas musste also Thaddäus sein. Markus und Matthäus hatten wahrscheinlich seinen Namen verändert, damit man ihn nicht mit Judas Ischarioth verwechselte. Lucy erinnerte sich an einen Hinweis auf den heiligen Judas, Patron aller Aussichtslosen, den sie e inmal auf einer katholischen Ge betskarte gesehen hatte: Heiliger Judas, glorreicher Apostel, getreuer Diener und Freund Jesu, der Name des Verräters hat bewirkt, daß du von vielen vergessen bist, bitte für mich Elenden … Sechs Versuche, hm?
    Gut, Judas Ischarioth scheidet vermutlich aus. Der Gedanke, es könnte ein Judasevangelium geben, ist zwar interessant, aber wohl doch fiktiv, und selbst

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