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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Geschichte von Osiris. Doch ich widersprach ihm und erläuterte in allen Einzelheiten Herkunft und Stammbaum des Lehrers.
    Sie sagte zu mir: »Was aber dieses Opfer betrifft, wenn wir deinem Gotte folgen, brauchen wir selbst es nicht zu bringen?«
    Ich erklärte ihr, nein, Blutopfer seien nicht erforderlich, sie dürfe die nazaräische Kirche nicht mit jenen früher erwähnten barbarischen Kulten des Attis oder Adonis verwechseln. Andererseits, sagte ich, seien gewisse finanzielle Opfer willkommen, die es den Kindern Gottes ermöglichen würden, in Gemeinschaft zu leben, sich zu kleiden und zu nähren.
    Sie sagte zu mir: »Aber wir leben doch bereits in Gemeinschaft und teilen, was wir haben, unter uns auf. Jedweder Überschuss wird in diesem Palast gehortet zur höheren Ehre der Kandake und als Vorrat, auf den wir bei Katastrophen und Hungersnöten zurückgreifen können, die hierzulande leider nicht selten vorkommen.«
     
    21.
    »Unser Meister«, sagte ich zu ihr, »hat uns gelehrt, unsere Feinde zu lieben, und gesagt: ›So dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den anderen auch dar.‹«
    Sie sagte zu mir: »Wir haben keine Kriege. Wenn uns jemand den Krieg erklärt, dauert es nie lange, ehe er das Interesse daran verliert oder sich in Teufels Küche bringt. Wir wissen nämlich in den vielen Katakomben unter der Stadt unsere Wertsachen unauffindbar zu verstecken, verstehst du. Wir haben ein Heer zu unserer Verteidigung, für den Fall, daß jemand uns ausrotten und unsere Stadt schleifen will, aber seit den Persern hat es niemand mehr fertiggebracht, ein Heer nilabwärts bis hierher zu führen.« Schließlich schien die Kandake die Geduld mit mir zu verlieren. Sie sagte: »Aber bitte, lieber judäischer Herr, nun erzähle uns doch was von den Festen! Wie feiern wir diesen neuen Propheten?« Sie schnippte mit den fetten Fingern, und ein Minister näherte sich ihrem Thron und entrollte einen Papyrus. »Wir haben noch nichts für den ersten Wintermonat. Eine Lücke von vierzehn Tagen in unserem Kalender religiöser Feste. Wir haben versucht, das heilige Feuer zu feiern, aber in dieser Gegend kann man es wirklich niemandem zumuten, stundenlang um ein Feuer herumzustehen, wie du vielleicht verstehen wirst.«16
     
    22.
    Sehr geduldig und ausführlich erklärte ich ihr, daß wir Nazaräer jedwedes Ritual als widergöttliches weltliches Gepränge verachten und verurteilen und mithin keinerlei Zeremonien praktizieren.17
    Zuletzt gelang es mir, auf den eigentlichen Gegenstand meines Besuches in Meroë zu sprechen zu kommen. Ich sagte zu ihr: »Durchlaucht wissen nicht zufällig etwas von einem Mann namens Benjamin oder Belsazar, der behauptet, ein großes Geheimnis in betreff des Lehrers der Rechtschaffenheit zu besitzen?«
    Auf diese Worte verstummte plötzlich der ganze Hof, als hätte ich etwas Unaussprechliches ausgesprochen. (Ja, noch jetzt, da ich es wiederholte, schlägt Tesmegan, als hätte er es lieber nicht gehört, die Augen nieder.) Einer der nicht völlig nackten Herren aus dem Gefolge der Königin (der also vielleicht mehr Berater als Beischläfer war) wandte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr, daß jedes Reden von Geheimnissen Kandake zutiefst verärgerte, doch nach kurzem Schweigen ließ dann auch diese selbst sich vernehmen: »Als Neuankömmling in Meroë konntest du nicht wissen, daß wir hier niemals von Geheimnissen sprechen: Geheimnisse zu haben, geheime Absprachen, Bündnisse, Gruppen, Gesellschaften und Pläne, das, mein hartnäckiger judäischer Freund, ist aller Übel Anfang. Wenn der Mann, den du suchst, hier mit einem Geheimnis ankam und mein Hof mehrheitlich entschieden hat, dieses als solches gelten zu lassen, sollst du, mein Bester, es als solches respektieren. Ich kann dir nur raten, dich vor jedem Versuch zu hüten, es zu ergründen.«
     
    23.
    Der Minister an meiner Seite riet mir, es damit gut sein zu lassen, denn hierzulande werde Geheimhaltung wirklich mit großer, nicht überall üblicher Strenge geübt. Wenn nämlich irgendetwas offiziell als Geheimnis anerkannt werde, sei es üblich, über den Besitzer des Geheimnisses Hausarrest zu verhängen und einen Wachposten vor seine Tür zu stellen. Und das sei noch das mindeste, sagte er, was der Besitzer eine s Geheimnisses zu gewärtigen ha be; denn falls es sich um ein besonders schreckliches Geheimnis handle, begnüge man sich nicht damit, ihm die Freiheit zu nehmen. Obwohl mancher Fremde, der kein Haus

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