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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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dem schwarzen Mann.«
    O’Hanrahan runzelte die Stirn. Der schwarze Mann war nicht halb so furchteinflößend wie reiche Männer mit ihren Geheimgesellschaften und geheimen Plänen, die sie zusammen mit anderen reichen Männern schmiedeten; Männer mit zuviel Liebe zum Geld und zuviel freier Zeit, Ursprung eines großen Teils allen Unheils auf der Welt! Aber warum hatte Merriwether nach Gott gefragt, wenn er keine positive Antwort hören wollte?
    (Er läuft vor der Antwort davon. Er hat sein Leben damit verbracht, vor den Stimmen davonzulaufen.)
    Merriwether blieb in der Tür stehen. »Ich wünsche Ihnen gute Besserung, Sir, und ich hoffe, Sie haben eines Tages die Gelegenheit, die Zigarren und den Bourbon zu genießen.« Fast stotternd setzte er hinzu: »Wenn Sie auf meine Gesundheit trinken könnten.« O’Hanrahan nickte ernst. Einen Augenblick suchte Merriwether nach Worten. »Ich nehme an, es macht eigentlich keinen Unterschied«, sagte er dann, als wolle er am liebsten bleiben, würde aber fortgezogen, »ob meine erste Prämisse richtig ist oder ob Gott auf uns herabblickt, während wir sprechen. Wie könnte ich ändern, was geschehen ist? Wie sollte ich mich so spät im Spiel ändern? Selbst wenn Sie mir Gott hätten beweisen können – ich bin nicht sicher, ob ich etwas mit ihm zu tun haben wollte.« Ein letztes Mal sah er durch das Fenster in die Dunkelheit hinaus. »Wirklich, so eine ineffiziente Gottheit. Verschwenderisch, irrational und inkompetent, ihrer Schöpfung nach zu urteilen.«
    (Warte nur auf die nächste Welt, Charles.)
    »Na gut«, seufzte Merriwether. »Verzeihen Sie, daß ich Sie so lange belästigt habe, Mr. O’Hanrahan. Ich sehe ein, daß wir einander doch nicht gleichen.«
    Als er gegangen war, Schloss O’Hanrahan die Augen. Nein, doch nicht. Vielleicht bin ich knapp daran vorbeigegangen, aber die alten Masken des Schamanen siegen doch: Gut und Böse. Vielleicht heißt es das, zu den Auserwählten Gottes zu gehören: daß man im Chaos der Welt einen moralischen Kern erkennen kann; daß einem solche Dinge nicht egal sind; daß man trotz aller Weiterentwicklung immer noch Gut und Böse unterscheiden kann und weiß, daß es eine Wahl gibt, wie armselig und irrelevant unser Gastspiel auf Erden auch sein mag, wie jämmerlich unsere Bemühungen und wie wertlos selbst die Guten unter uns gegen die Verworfenheit des Ganzen
    sein mögen.
    (Nein, nicht wertlos.)
    O’Hanrahan drehte sich zur Seite und hoffte, aus seiner Traurigkeit i n einen heilsamen Schlaf zu sin ken. Wenn ich nur noch ein wenig Zeit hätte, um zu zeigen, daß Gutes in mir steckt, um es aus einer Seele zu retten, die ich mit dem Unsinn der Welt ertränkt und erstickt habe.
    (Es ist noch genug Zeit da. Aber wirst du wissen, was du zu tun hast?)
    30. August 1990
    Lucy erwachte gegen halb elf Uhr vormittags vom Geräusch eines Staubsaugers irgendwo im Haus. Sie hatte eine miserable Nacht hinter sich: Größer noch als ihre physische Erschöpfung war ihre innere Belastung; die Sorge um O’Hanrahan hatte sie um den Schlaf gebracht. Eilig zog sie sich an, spähte aus dem Gästezimmer und ging die geschwungene Antebellum-Wendeltreppe hinunter in die Halle. Farley stand da – er hatte offenbar auf sie gewartet. »Kannst du mir ein Taxi zum Krankenhaus bestellen?«
    »Ich werde dich selbst …«
    »Ein Taxi wäre mir lieber, bitte.«
    Aber Farley fuhr den Kombi vor, und Lucy stieg
    ein, entschlossen, kein Wort zu sagen.
    »Meine Mutter hat nur versucht, ihn zu heilen …«
    »Ich habe dir nichts zu sagen!« fauchte sie. Die restliche Fahrt legten sie schweigend zurück.
    Farley sen. stand in der Eingangshalle, unterschrieb Autogramme und ließ sich von älteren Leuten verehren, die gerade ihr lebenslang Erspartes dem Medical Center gespendet oder einen Beitrag für die Promised Land Ministries geleistet hatten. Lucy schlich sich un
    bemerkt wieder hinaus und pilgerte über den sechsspurigen Boulevard, der noch nicht nach Martin Luther King benannt war, in das Einkaufscenter gegenüber. Dort gab es auch eine Bank mit Autoschalter und einen Geldautomaten. Sie hatte ihre eigene Scheckkarte seit drei Monaten nicht mehr benutzt, aber wenn Gott auf ihrer Seite war, konnte sie an das Geld auf ihrem Konto heran. Es funktionierte. Sie kontrollierte den Kontostand: 625 Dollar. Zumindest genug für die Gebühr bei einer Adoptionsagentur, wenn es wirklich soweit kommen sollte, dachte sie finster. Sie hob 200 Dollar ab, das Limit. Plötzlich

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