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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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fragte sie sich, ob man bei einer Adoptionsagentur überhaupt etwas zahlen musste .
    Das Einkaufscenter stammte sichtlich aus den sechziger Jahren; es hatte eine langgezogene, horizontale Ladenfront und eine altmodisch schräge, schwungvolle Schrift auf den Schildern und den großen grünen Glasfenstern. Viele Läden schienen ganz geschlossen zu sein. Lucy entdeckte ein Münztelefon. Sie sollte endlich Judy anrufen und nachfragen, wie sie zwei Monate länger als geplant ohne Mitbewohnerin zurechtgekommen war.
    Lucy trat in die Telefonzelle. Die Glastür war voller Aufkleber für eine Heavy-Metal-Band mit satanisch klingendem Namen, und Lucy lächelte darüber, daß sie ausgerechnet den Weg auf Bullins’ Missionsgrund gefunden hatten. Andere Aufkleber warben für eine rund um die Uhr besetzte Telefonnummer für Deprimierte und ein gelbes Schild für ein Frauenzen trum :
    Vergewaltigt? Schwanger und allein? Misshandelt ? Auf der Suche nach Rat und Hilfe? Geldsorgen?
    Darunter stand eine Telefonnummer in einer Vorstadt von Baton Rouge, zwölf Meilen entfernt.
    Lucy nahm den Hörer und wählte die Nummer mit gespielter Ruhe. »Hallo«, versuchte sie es.
    Die Frau in der Zentrale hieß Ruby, und ihre Stimme klang sympathisch: eine vernünftige, schwarze Frau, der man alles anvertrauen konnte. Das Zentrum war eine Hotline, ein Zufluchtsort mit Abtreibungsklinik – das heißt, noch so lange, bis die Gesetzgeber Louisianas ihren Willen durchsetzten! Ruby bestand darauf, daß sie einander mit Vornamen anredeten. »Ich glaube, ich bin schwanger«, sagte Lucy.
    »Du weißt es nicht, Honey?«
    »Äh … okay, Ruby, es klingt blöd, wenn ich es sage, aber ich habe Angst, diesen Test zu machen. Ich bin nicht verheiratet, ich halte nichts von Abtreibung,
    das bedeutet also Adoption, und ich bin nicht gerade begeistert darüber …«
    »Langsam, langsam, Kind«, lachte Ruby. »Du machst zuerst einmal den Test, und dann rufst du mich gleich noch einmal an, und wir reden über die Sache.«
    Lucy war nach diesem an sich belanglosen Gespräch beträchtlich erleichtert und getröstet. »Und ich kann wieder anrufen?«
    »Natürlich kannst du. Ich werde hier sein.«
    Sachte legte Lucy den Hörer auf. Sie nahm einen Stift aus der Tasche und schrieb sich die Nummer des Frauenzentrums in der Feliciana Parish auf. Wie sehr habe ich diese tröstliche Stimme gebraucht, dachte sie. Sie beschloss, Judy anzurufen, die jetzt um die Mittagszeit zu Hause sein müsste … Und vor allem hatte sie Sehnsucht danach, mit Judy über alle s zu re den. Sie waren zwar nie sehr erfolgreich gewesen, wenn sie über Ereignisse und Krisen in Lucys Leben redeten – Judy schlug dann ihren Psychiaterton an, warf mit Fachbegriffen um sich und nutzte jede Gelegenheit, um Lucy, dieses irrationale Nervenbündel, zu kritisieren, niederzumachen und herablassend zu behandeln. Aber bisher hatten sie es auch noch nie
    mit einer richtigen Krise zu tun gehabt, so wie Lucys Schwangerschaft. Vielleicht. »Hallo, Judy?«
    Judy war aufgeregt, etwas von Lucy zu hören, und akzeptierte das R-Gespräch. »Wo steckst du?«
    »In Louisiana, in einer Stadt namens Philadelphia.« Judy fing an zu reden, gab Klatsch zum besten, vermischt mit Nachrichten von Leuten, die auf Lucys Anrufbeantworter gesprochen hatten. Lucy war ein wenig deprimiert, als sie hörte, wie wenig Freunde angerufen hatten: Gabriel hatte sich immer wieder gemeldet und laut auf das Band gesprochen, wie dringend es sei; ihre Eltern, ihre Mom, verärgert, ihr Vater, verärgert, ihre ältere Schwester Cecilia, die für ihre verärgerten Eltern anrief, noch einmal Gabriel, Luke, Margery, die ihre Seminaraufzeichnungen aus dem Sommersemester haben wollte – und Dr. Shaughnesy. »Ist das alles?«
    »Einen Augenblick«, sagte Judy und sprach mit jemandem, der in der Wohnung war. Ein Mann.
    »Ist das Vito?« Er war es.
    »Ich muss über etwa s wirklich Wichtiges mit dir re den, Judy.«
    »Ich auch mit dir«, lachte Judy. »Wenn du zurückkommst, wohnen wir vielleicht nicht mehr zusammen!«
    »Was?«
    Sie und Vito ha tten beschlossen zusammenzuzie hen, ihre Beziehung lief so gut.
    »Ist das nicht ein bisschen überstürzt?«
    fragte Lucy und wünschte, sie hätte nicht angerufen. Eine Lawine aufgestauter Gefühle überfiel sie, und sie erkannte, wie vergeudet die Jahre mit Judy gewesen waren – die Freundschaft war wirklich einseitig – und wie falsch ihre Solidaritätserklärungen gewesen waren. Schließlich fragte Lucy,

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