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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Zigarre fort und trat näher ans Bett.
    »Ich habe Ihre Abenteuer den ganzen Sommer über aus zweiter Hand verfolgt. Ich wusste , daß Sie nicht nur ein Gelehrter sind, der ein einigermaßen aufregendes Leben, sagen wir einmal, voller Reisen und nicht ganz ohne ein paar Intrigen führt, sondern auch ein Gourmet, ein Mann von Geschmack, mit kultivierten Ansichten, ein Mann, der sehr von dieser Welt ist. Ein Mann, wenn ich so vermessen sein darf, wie ich. Auch wenn Sie eine ganz andere Berufung hatten.«
    O’Hanrahan dachte gequält: Bin ich so wie dieser kultivierte, rationale, charmante Schurke? Ja: Bin ich nicht mit meiner Familie ebenso unbarmherzig gewesen? Habe ich nicht meinem Sohn ein Leben nach meinen Vorstellungen entworfen und ihm meine Lie be entzogen, als die Dinge nicht nach Plan liefen? O’Hanrahan dachte zurück an die Intrigen, die er gesponnen hatte, um Vorsitzender des Fachbereichs zu werden; er dachte an seine Lügen und Tatsachenver drehungen , um von Mordechai Hersch und Lucy das zu bekommen, was er wollte. Sogar jetzt würde er sein Wissen um das Matthäusevangelium eher ins Grab mitnehmen, als es jemand anderem weiterzugeben! Ja, dachte er, wäre ich mit einem Millionenerbe geboren worden, hätte ich so werden können wie dieser Mann, dem Evangelium des Profits anhängend statt dem Interesse an theologischen Evangelien. Nein, natürlich bin ich doch anders, widersprach er sich selbst.
    »Und daher bin ich gekommen, um Ihnen eine ernste Frage zu stellen«, erklärte Merriwether und beugte sich ein wenig vor. Unsicher begegnete O’Hanrahan Merriwethers eisernem Blick. »Die religiöse Heuchelei meines Großvaters und das dilettantische, blutleere Christentum meines Vaters haben bei mir nie verfangen. Ich interessiere mich nicht für Kunst, Musik oder religiöse Erfahrung, Mr. O’Hanrahan. Es gibt keinen Gott, das ist meine erste Prämisse. Alles ander e folgte daraus, und wie Sie se hen, bin ich – für mich und für mein Land – gut dabei gefahren. Und nun, mit dieser Krankheit, stehe ich an einer Kreuzung …« Einen Augenblick zögerte er, dann aber fuhr er entschlossen fort: »Ich bin allein, wie ich es immer war und wie ich auch enden werde. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen die Einsamkeit, aber auch das ist eine Konsequenz meiner ersten Prämisse, daß es nämlich keinen Gott gibt. Viele Dinge, die ich getan habe, um dorthin zu gelangen, wo ich bin …« Nein, das klang mehr nach Beichte, als Merriwether beabsichtigt hatte, daher änderte er die Richtung. »Sagen wir so, wenn ich mich dazu bringen könnte, einen Wert in dem Argument zu sehen, daß es einen Gott gibt oder zumindest, daß es Gut und Böse gibt, wie Sie so hübsch gesagt haben … nun, möglicherweise hätte ich dann ein anderes Leben geführt.«
    O’Hanrahan war überrascht, als Merriwether sich auf den Bettrand setzte.
    »Sie sind krank, so wie ich krank bin. Ich musste Sie kennenlernen, um Ihnen diese Frage zu stellen: Gibt es einen Gott, Mr. O’Hanrahan?« Als setze ihn seine eigene Frage in Verlegenheit, redete er hastig weiter: »Sie haben diesem Thema Ihr Leben geweiht. Sie haben zu ihm gebetet, Sie haben ihn in Evangelien und alten Texten gefunden, Sie haben gesehen, wie Millionen von Menschen auf der ganzen Erde zu Gott in seinen verschiedenen Varianten beten und flehen. Können Sie mir nach all dieser Zeit ehrlich sagen …«
    Merriwether war hart wie Granit, nur in seinen Augen blitzte kurz Verletzlichkeit auf. »Glauben Sie, es gibt … es könnte einen Gott geben?« O’Hanrahan wandte die Augen ab.
    (Wirst du Uns wieder verleugnen, Patrick?)
    O’Hanrahan dachte nach. Er sagt, wir beide seien gleich, aber wir sind nicht gleich, und wenn es nur die Antwort auf diese Frage ist, worin wir uns voneinander unterscheiden! »Ja«, sagte er und sah seinem Besucher in die Augen, »ich glaube, daß es einen Gott gibt.«
    Merriwether stand auf, seine kurze Anwandlung war verflogen. »Ach, welche Antwort hätte ich sonst von Ihnen erwarten können …« Er ging zurück zu seinem Stuhl, nahm die Zigarre wieder in die Hand, griff nach seinem leichten Mantel, steckte die Nagelfeile zurück in die Jackentasche und hob schließlich sein Wall Street Journal auf. »Ich weiß nicht, warum ich dachte … warum ich dachte, ich würde Sie etwas anderes sagen hören. Sie sind auch nur ein Gläubiger, in Trance versetzt von dem Medizinmann am Feuer, verängstigt von den Geistergeschichten, voller Furcht vor

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