Der dreizehnte Apostel
ob sie sich nicht noch etwas Zeit lassen und ihre gemeinsame Wohnung als Stützpunkt für ihre Beziehung mit Vito nutzen wolle.
Judy wollte die Wohnung in der Tat als Stützpunkt benutzen. »Aber Judy, zu dritt ist es vielleicht ein bisschen eng …« Judy erklärte, was sie meinte. »Ich verstehe.«
Der Mietvertrag sei schließlich auf Judys Namen ausgestellt, und auch das Telefon und die Nebenkosten liefen auf ihren Namen. Lucy hatte sich jahrelang gut gefühlt, weil nichts Praktisches von ihr erwartet wurde. Aber nun ging es darum, daß eine von ihnen ausziehen sollte, und die Wahl fiel logischerweise auf Lucy. Oh, erklärte Judy, es sei noch nichts Definitives
… Vito kitzelte oder belästigte sie anscheinend, denn sie kicherte.
»Okay. Wir reden darüber, wenn ich zurück bin.« Judy fragte nicht einmal, wann das sein würde.
Lucy hängte auf. Die neue Information zusammen mit der Luftfeuchtigkeit in Louisiana bewirkte, daß sie Übelkeit verspürte. Fast hätte sie noch einmal bei Ruby angerufen – oder vielleicht sollte sie die Nummer der Hotline für Depressive wählen … Alles, was sie wirklich gesucht hatte, war der tröstliche Klang einer freundlichen Stimme. Vielleicht war von ihren Geschwistern jemand zu Hause. Und je länger sie den Anruf zu Hause hinausschob, desto schlimmer würde es sein. Vielleicht die Stimme ihrer Mommy, wenn Lucy sie an einem guten Tag erwischte … »Vermittlung, bitte ein R-Gespräch von Lucy Dantan.« Eine kurze Pause.
»Mom? Ja, ich bin’s, ich bin in …«
Lucy zwirbelte an einer Haarsträhne, eine nervöse Geste aus der Kindheit, die bei jedem Anruf zu Hause wieder auflebte.
»Nein, ich weiß die Nummer von der Telefonzelle hier nicht. Ich weiß, es ist … nein, könntest du mir zuhören? Mom …« Eine Diskussion über das teure R-Gespräch.
»Es ist mir egal, ob es billiger ist, ich kann die Nummer auf diesem Telefon nicht lesen, du kannst mich also nicht zurückrufen … Ich bezahle dir das verdammte R-Gespräch, wenn ich zu Hause bin …« Ihre Mutter begann mit einem Vortrag über Mädchen, die »verdammt« zu ihrer Mutter sagen. Und wenn wir von zu Hause sprechen, junge Dame …
»Ich werde bald da sein. Könnten wir vielleicht aufhören zu streiten? Ich bin in einer Woche oder so wieder da. Ist Cecilia da, ich würde wirklich gerne …«
Dein Vater, du solltest deinen Vater hören. Apropos Cecilia, sie hatte die Abrechnung ihrer Kreditkarte bekommen, und jemand hat Geld in Afrika, in Assuan, ausgegeben, um Himmels willen. Deswegen hatte Cecilia die Karte storniert.
»Das war ich, ich war in Afrika.«
Wie konnte sie ihre Eltern anlügen. Jerusalem war eine Sache, aber Afrika? Sie konnte von Glück reden, daß diese ganzen ve rrückten Neger mit ihren Schieß gewehren sie nicht umgebracht hatten – und wenn sie irgendeine schreckliche afrikanische Krankheit hatte, sollte sie nicht erwarten, daß ihre Eltern die Rechnungen bezahlten, nein, nein. Denn natürlich hatte sie keine Krankenversicherung! Nein, sie verbrachte ihr Leben an der Universität und schrieb an einer Doktorarbeit, während andere Mädchen in ihrem Alter eine Familie gründeten! Wie ihre Schwester. Warum hatte Gott sie mit einer solchen Tochter gestraft! Lucy hängte auf. Ich bin wirklich allein auf dieser Welt, ich bin wirklich ganz allein. Sie ging in der prallen Sonne über den großen Parkplatz zurück zum Krankenhaus; in vielen Glasscherben fing sich das Sonnenlicht, so daß das Pflaster aussah, als wäre es mit Diamanten besetzt. Sind diese jämmerlichen, zänkischen, engstirnigen Leute mit ihren Problemchen wirklich mein Leben? War es auch so, bevor ich fortgegangen bin? Ich hätte Gabriel anrufen sollen, dachte sie. Zumindest hat er Mitleid mit Leuten, die Probleme haben, schließlich hat er selber so viele. Der Gedanke begann sie zu beunruhigen – Judy hatte gesagt, Gabriel habe dringend geklungen. Konnte das etwas mit der Schriftrolle zu tun haben? Als sie in die überwältigend kühle Luft des Krankenhauses eintauchte, ging sie zu einer Reihe von Münztelefonen und meldete ein R-Gespräch an Gabriel an. Mittags, und er lag noch im Bett. »Gabe? Ich bin’s, Lucy.«
Während er mühsam wach wurde, erzählte Lucy, daß Judy plante, sie aus der Wohnung hinauszuwerfen.
»Na ja«, verteidigte Gabriel Judy, »du warst drei Monate nicht da, um Miete zu bezahlen und so.« Ja, das war auch typisch Gabriel, immer der logisch denkende Sprecher für die andere Seite, für Judys
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