Der dreizehnte Apostel
schildern: » … und ich habe mich ihm zugewandt und
seinen lieben Kopf gehalten, mein lieber Papa in seinem lieben Schlafanzug, und ich sagte, ooooo Papa, mein lieber Papa, ich habe dich sooo lieb, und wir werden im Himmel wieder vereint werden, Papa, mein lieber kleiner Papa …«
»O Gott, ich halt’s nicht aus!« brummte O’Hanrahan und schaltete um. Es folgte das Program der ACTS, der Association of Christian Television Stations. Hier wurde ein Spielfilm gezeigt. Man erkennt diese protestantischen Spielfilme immer sofort an der Stumpfsinnigkeit der Bösewichte, dachte Lucy, und am Auftauchen eines starken Teenagers, der heiliger ist als sonst jemand und nicht den kleinsten Schluck Bier trinken will, weil er gerettet ist. In einer Szene versuchte der junge Christ, seine Freundin davon abzuhalten, mit ihren coolen Freunden eine Dose Budweiser zu trinken.
»Würden Sie mir die braune Papiertüte bringen, die neben meiner Mappe steht … da, auf dem Stuhl«, bat Dr. O’Hanrahan.
Lucy fand eine zerknitterte Papiertüte und sah hinein. Merriwethers Old Confederate Bourbon. »Ich glaube, den sollte ich in den Ausguss schütten, Sir.«
»Nur ein kleiner medizinischer Schluck, ich kippe ja nicht die ganze Flasche hinunter.«
»Nein«, sagte sie und rächte sich ein wenig für O’Hanrahans derbe Anschuldigung, sie sei skrupellos ehrgeizig.
Der christliche Spielfilm war nun ein Stück weiter und zeigte die Exfreundin des jungen Christen im letzten Stadium, zu allem bereit, wenn jemand ihr ein paar Flaschen Alkohol kaufte. Sie werden alles dafür tun? fragte ein schmieriger alter Lüstling. Ja, flüsterte sie, inzwischen ein Bild der Schande und des Elends.
»Sehen Sie, Sir?« fragte Lucy. »So werden Sie auch enden.«
»Daß ich Sex mit Mädchen im Teenageralter habe, damit sie mir dafür ein paar Flaschen Alkohol kaufen? Klingt großartig. Geben Sie schon die Flasche her.«
Lucy steckte den Bourbon wieder in die Tüte, weil sie es doch nicht wagte, ihn in den Ausguss zu schütten. O’Hanrahan sah beruhigt, daß die Flasche in Sicherheit war. Aus Angst, sie könne etwas Unbesonnenes tun, bestand er für den Moment nicht auf seinem medizinischen Schluck.
Lucy starrte ihn besorgt an.
»Ich bin in Ordnung«, sagte er. »Ich habe mich die letzten drei Monate immer so lausig gefühlt. Gebt mir mein Percodan und einen Drink, und ich bin so gut
wie neu. Die behalten mich wegen nichts und wieder nichts hier. Sie wollen mich unter Medikamente setzen und am Rande des Grabes halten, damit ich nicht entwischen kann und ihnen die Schriftrolle übersetze.«
Fast könnte man das für möglich halten, dachte Lucy. Aber O’Hanrahan sah furchtbar aus, todkrank, mit vollkommen anderer Gesichtsfarbe als normal und entsetzlich müde.
Eine Krankenschwester und ein Krankenpfleger kamen herein, und Lucy ging. Sie machte sich auf die Suche nach der weißhaarigen Ärztin, mit der sie am Abend zuvor kurz gesprochen hatte. Lucy fand sie unten am Empfang, wo sie gerade finster auf ein Krankenblatt starrte und dann weitergehen wollte …
»Dr. Stewart?« fragte Lucy und hoffte, die Frau aufzuhalten. »Ich wollte Sie nach Patrick O’Hanrahan fragen.«
Die Ärztin setzte ein berufsmäßiges Lächeln auf und blieb stehen. »Er hat immer noch Fieber, seine Blutwerte weisen jedes nur denkbare chemische Ungleichgewicht auf, sein Blutdruck ist haushoch, sein Cholesterinspiegel ist kaum noch messbar , und gestern Abend , als der Notarzt ihn brachte, hatte er solche Schmerzen in den Händen und Füßen, die selbst
bei seinem hohen Blutdruck nicht mehr durchblutet werden, daß wir ihm Morphium geben mussten .«
»Oh«, sagte Lucy. »Steht es … sehr schlecht?«
»Es ist immerhin Hepatitis A«, erklärte die Ärztin mit leiserer Stimme. Lucy nickte nervös.
»Das ist die bessere Form, nicht wahr?«
Die Ärztin legte mit einem matten Lächeln das Krankenblatt weg. »Gut sind weder Hepatitis A noch B, aber es stimmt, mit Ruhe und Antibiotika ist Hepatitis A leichter zu heilen. Aber das hängt davon ab, daß man eine Leber hat, die einen durchbringt, meine Liebe. Und ich … ich bin zu der Ansicht gelangt, daß seine Leber ziemlich kaputt ist.«
Lucy wurde bleich und wünschte, sie hätte den Whisky in den Ausguss geleert. »Ich habe noch eine Frage«, sagte sie langsam. »Einer Freundin von mir ist die Periode ausgeblieben. Ich meine …« Lucy bekam plötzlich kalte Füße. Womöglich war die Ärztin eine von den Wiedergeborenen,
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