Der dritte Berg
Ich wage einen Blick durch den Spalt. Dabei klopfe ich mehrmals an die Tür und mache endlich ein paar Schritte in den Salon. »Professor Schmithausen!«, rufe ich. Zwei Mal, drei Mal. Als weder etwas zu sehen noch zu hören ist, dringe ich ein kleines Stück weiter vor. Ich will schon kehrtmachen und draußen auf der Treppe warten, als ich Stimmen höre. Eine Tür im Obergeschoss ist geöffnet worden, zwei Männer sprechen und sind offensichtlich auf dem Weg zur Treppe. Einer der Männer ist Schmithausen.
»Du bist vorschnell in deinen Urteilen, Konrad«, sagt Schmithausen. »Wart’s ab.«
»Verschließ deine Tür. Unser Mann ist demnächst zur Stelle, doch könnte ihm ja auch etwas entgehen.«
»Mach dir um mich keine Sorgen.«
Rücklings gehe ich zur Eingangstür und will draußen so tun, als käme ich gerade erst an.
»Die Geschichte ist eine Hure«, höre ich die unbekannte Stimme noch sagen.
»Was hast du erwartet?« Das ist wieder Schmithausen.
Ich bin draußen angekommen und haste die Treppe hinunter. Dann die halbe Strecke zum Gartentor. Ich bleibe stehen, atme durch und gehe mit einem gemütlichen Lächeln wieder auf das Haus zu. Nichts an mir verrät, dass mein Gehirn über ein paar Fragen explodiert.
»Herr Rai!« Das wirft mir der Unbekannte entgegen, als er in einem offenen Trenchcoat die Treppe herabläuft. Ein großer, älterer Mann in einem guten Cordanzug, mit fast kahlem Kopf und einem verbindlichen Lächeln auf den Lippen. Dieser Mann ist angenehm persönlich und dabei hart wie die Schieferplatten, auf denen ich stehe.
»Kanner«, sagt er und streckt mir seine Hand entgegen. »Konrad Kanner. Mein Vater liebte Alliterationen. Sie sind doch Bernard Rai, nicht wahr? Ich bin ein alter Freund des Professors. Kann Ihnen beiden leider nicht Gesellschaft leisten, so sehr ich mir das wünschte.«
Ich will mich von ihm nicht einfach weiterreichen lassen und sage: »Klar. Sie haben ja noch weit, den ganzen langen Weg bis zur Rossauer Kaserne.«
»Sie meinen die Polizeidirektion? Meine Arbeitsstelle befindet sich in der Innenstadt, falls Sie das beruhigt. Und wie, wenn ich fragen darf, kommen Sie auf einen solchen Gedanken?«
»Professor Schmithausen«, gebe ich aufs Geratewohl zurück, »hat mit zweifelhaften Gestalten zu tun gehabt, und jetzt stehe ich hier und ein Mann läuft aus der Tür des Professors, dessen Bewegungen sagen: Bei mir sind Sie sicher.«
»Sie schmeicheln mir, Dr. Rai«, sagt Konrad Kanner mit einem amüsierten Lächeln. Er ist standfest, und er ist gar nicht überrascht von meinen letzten Sätzen. »Aber die Dinge in dieser Welt sind am Ende ja doch meist anders als sie scheinen.«
Er geht an mir vorbei. »Ich hoffe«, sagt er, »es war nicht das letzte Mal, dass wir das Vergnügen hatten!«
»Sie haben Konrad kennengelernt?«, ruft Xaver Schmithausen aus der Küche hinter dem Salon, als ich abermals durch die Eingangstür trete. »Wie wollen Sie Ihren Kaffee denn? Bin leider allein, meine Haushälterin, eine herrische, furchtbare Person, macht nichts als Ferien.«
»Wir haben uns kurz unterhalten. Schwarz, etwas Zucker, bitte.«
»Ein alter Freund, Konrad«, sagt Schmithausen. »Kindheit in der Steiermark. Und Sie sind früh dran, Bernard.«
Bei diesen Worten schreitet ein grauhaariger Mann in einem Harris-Tweedjacket federnd auf mich zu. Er ist nur mittelgroß und seine Augen springen herum wie kleine, grüne Tierchen. Das kurze Haar, ein spitzes Kinn und die geringfügig nach oben gedrehte Nasenspitze verleihen Schmithausen ein Mausgesicht. Früher war er dicker, und das Gesicht runder. Entweder war er krank, gewinnt seit neuestem Seniorenmarathons oder besucht zwei Mal am Tag zu oft das Wirtshaus an der Ecke.
Xaver Schmithausen sieht jetzt aus, als hätte man ihn angeknipst. Die Freude ist aufrichtig. Mit beiden Händen ergreift er meine hingestreckte Rechte.
»Lange nicht gesehen!«, sagt er und sieht zu mir hoch. »Da wird man gleich wieder jung. Was verschafft mir dieses außerordentliche Vergnügen?«
»Horst Dieter Maettgen.«
Schmithausens Miene schwärzt sich in Sekundenbruchteilen ein. »Maettgen?«, sagt er und verschwindet sogleich wieder in der Küche.
Mit Kaffeetassen aus Augartenporzellan kommt er zurück in den Salon. Wir lassen uns nieder und machen uns an den Tassen zu schaffen. Der Kaffee riecht nach einer Brasil-Santos-Röstung, im Vordergrund, gemahlen von einer guten Maschine.
»Man weiß nicht, was man davon halten soll«, sagt
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