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Der dritte Berg

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.F. Dam
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Sarah, die zwei Jahre älter ist als ich. Der Schatten zögert.
    »Was machst du hier?«, frage ich.
    »Frage zurück«, sagt der Schatten und geht mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. »Man kriegt Schrullen, wenn man in ein gewisses Alter kommt. Laue Abende verbringe ich jetzt oft auf der Bank unter diesem Baum. Es war ihr Lieblingsplatz. Vor dem Osteosarkom haben wir auch oft hier gesessen.«

    MEINEN HANG ZUR SELBSTKASTEIUNG befriedige ich mit Klettertouren in den Hohen Tauern oder in den Dolomiten. Er liegt auch meiner Verwendung der Internetsperre Macfreedom zugrunde, die dich niemals, sofern du sie eingestellt hast, ins Netz lässt, und solltest du ihr mit Selbstmord oder Schlimmerem drohen, sowie einem guten Teil meiner Lektüre. Ich lese eine Menge Zeug von Milton Friedman, von Nietzsche, Adam Smith oder Schumpeter. Und manchmal kommt noch das Wallstreet Journal im Netz dazu.
    Es ist gut, seine Feinde zu kennen. Denn ich glaube an die Gewissenlosigkeit unserer Kultur, und ich glaube an die große Geldverschwörung. Es gibt da eine monetäre Religion, mit zahllosen Priestern, vielen Bischöfen und drei oder vier Päpsten.
    An diesem Abend vor den Toren Wiens habe ich nun beides. Einen von ein paar geringfügigen Zweifeln geplagten Priester dieser Geldreligion, der, als ich in groben Zügen berichte, mit schütterem, weißgrauem Vollbart und kurzgeschorenem Kopf neben mir her auf das Haus zugeht. Und ein paar der eher kathartischen Stunden meines Lebens.

    »Erzähl mir von Schmithausen«, sage ich.
    Wir haben uns im Wohnzimmer niedergelassen. Mein Vater trägt schwarzen Rollkragenpulli und Cordhose. Die Bücherwand ragt in seinem Rücken auf, mittendrin der braunschwarze Sekretär mit der alten, seit siebzig Jahren nicht mehr benutzten und mit einem Baumwolltuch bedeckten Schreibmaschine meines Großvaters.
    »Xaver? Hat er mit Maettgen zu tun? Zusammenarbeit?«
    Ich nicke.
    »Botanik und Zellbiologie. Die Kombination klingt vielversprechend. Riecht irgendwie nach Geld, wenn ich mich nicht irre.«
    »Schieß los.«
    »Geduld, mein Lieber, Geduld. Wir kennen uns ja seit, ich weiß nicht, vierzig Jahren? Schmithausen ist ein ehrenwerter Mann, der einmal geglaubt hat, die Botanik wäre die Königsstraße zu Weltruhm.« Er lacht auf. »Da mag der liebe Xaver sich getäuscht haben. Aber er, er hat es tatsächlich geschafft, selbst als Botaniker. Hat ein paar Jahre in Peru verbracht, ein paar in Vietnam, dann Südchina und weiß der Himmel wo noch. Ein liebenswerter Köter, der seinen Knochen niemals loslassen wird. Und wenn man ein bisschen mit der Industrie – Pharma natürlich – zusammenarbeitet, kann man selbst von dieser Wissenschaft anständig leben. Xaver ist auf die Ethnobotanik spezialisiert. Das liegt ja auch im Nahbereich der Pharmazie. In der Ethnobotanik geht es um die Anwendung von Pflanzen in verschiedenen Kulturen, meist zu medizinischen Zwecken. Soviel ich weiß, hat Xaver große Erfolge in der Diabetesforschung. Altbekannte Pflanzenspezies, meist taxonomiert, die seit Jahrhunderten von Eingeborenen oder auch von alten Kulturen wie unserer indischen für Diabetes mellitus eingesetzt worden sind, also mit hypoglykämischer oder anti-hypoglykämischer Wirkung. Ich glaube, da geht es um Eugenia jambolana , diese Pflaumenart aus Madagaskar, um die Mucuna-pruriens -Bohne, um Ocimum sanctum , das ist das berühmte Tulsi-Basilikum, und um Tinospora cordifolia , ein weiteres indisches Wunderkraut. Auch über die faszinierende Schlangenwurz, Rauvolfia serpentina , hat Xaver gearbeitet. Wirkt Wunder gegen Bluthochdruck. Habe es genommen, und wie du siehst, habe ich mich einmal mit diesen Dingen befasst.«
    »Und das ist alles ?«, sage ich. Ich zeige keinerlei Respekt vor all den Errungenschaften.
    Er presst die Lippen zusammen, es sieht mürrisch aus, dazu wackelt er mit dem Kopf. Die kleinen braunen Augen meines Vaters, der schmale, sich beim Sprechen spitzende Mund und die große Nase, die sich wie ein Ausrufezeichen hinab auf die Lippen zieht, sie alle treten der Welt ohnehin schon mit Widerwillen entgegen. Widerwillen, der nicht Schwäche entspringt, sondern dem Wissen, die Menschen vollkommen durchschaut zu haben. Und dann erfüllen alle auch noch seine schlimmsten Erwartungen.
    »Schmithausen hat die Linnésche Taxonomie entscheidend modifiziert«, sagt er jetzt ruhig, denn er ist sich seines Triumphes am Ende sicher. »Er hat sie neuen Funden – aus Asien und Südamerika vorzugsweise –

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