an, eine behäbige, prosaische Johannes-Existenz, die sich mit einer Kreativrautenbrille interessant zu machen sucht. Die Listen legt Johnny auf Fialas Schreibtisch und verschwindet wieder.
Ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts regte sich Widerstand. Das englische Schulsystem war in Indien eingeführt worden, und man lehrte die indischen Knirpse nun alles von Shakespeare, aber nichts von Kalidasa, der dem Ersteren zwar ein Jahrtausend vorausging, ihm aber in nichts nachsteht. Die Kleinen lernten den westlichen Fortschritt bewundern und die Kultur von Mama und Papa verachten. Also trug man den Kampf der Kulturen zum Feind selbst. Was eine ganz unerwartete Wirkung hervorrief. Es kam zum Pizza-Effekt.
Die Pizza war in Italien lange fast unbekannt gewesen, ein Arme-Leute-Gericht des Südens. Bis die Amerikaner und die Deutschen plötzlich verrückt nach Pizza wurden. Das ließ die Italiener im Piemont, in der Toskana und in Mailand neugierig werden. Am Ende aßen selbst diese Schnösel Pizza. Und die Tatsache, dass indische Mönche gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Westen große Säle füllten, dass schon zuvor angeblich wichtige Leute in Deutschland – Leute, die sie nicht kannten: Shelling, Shlegel, Herder, Shleiermacker, Ruckert, und dann noch ein gewisser Gothe – beim Lesen ihres Nationaldichters Kalidasa in ekstatische Verzückung geraten waren und Sanskrit gelernt hatten, führte eines Tages dazu, dass in Cambridge ausgebildete, heimische Anwälte in der prunkvollen Kolonialhauptstadt Kalkutta zu ihren Cambridge bewundernden Frauen sagten: »Wenn die das mögen, tja«, sie räusperten sich, zupften am Schnurrbart, »da muss doch …!«, und sie schnappten sich ihre Schals, fuhren nach langer Zeit wieder in den heiligen Tempel von Dakshineshvar und spuckten unterwegs Mäuler voll rotem Betel auf die Kutsche des britischen Bezirksrichters.
»Würden Sie sich das bitte durchsehen«, sagt Fiala, als er zwanzig Minuten später zurückkommt. Er steht dabei noch in der Tür. »Das Erste sind Telefonnummern der Fernsprechverbindungen von Frau Chelseworth in den letzten drei Monaten. Das Zweite sind die E-Mail-Verbindungen. Ebenfalls letzte drei Monate.«
Er geht um mich herum und händigt mir diese zwei langen Listen mit Nummern und E-Mail-Adressen aus. Ich sehe sie durch. Fiala setzt sich hinter seinen Schreibtisch, trinkt kalt gewordenen Kaffee zur lauwarmen Pizzaschnitte und beobachtet mich. Dann schlägt er linkes über rechtes Bein, lehnt sich zurück und lässt die Kuppen seiner gespreizten Finger aneinanderstoßen.
In den Telefonlisten taucht die Nummer des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg mehrmals auf. Und in der E-Mail-Liste findet sich einmal die Adresse
[email protected]. Das ist Maettgens private E-Mail-Adresse, nicht die am Max-Planck-Institut. Ich bin bestürzt. Doch lasse ich mein Gesicht für Fiala erstarren.
Fiala blickt mich fragend an.
»Nichts«, sage ich leise, »nichts, das mir ungewöhnlich vorkommt.«
»Und die Nummer des Max-Planck-Instituts in Heidelberg?«, fragt Fiala. Zu Maettgen bemerkt er gar nichts; aber das kann ja auch der Gärtner gewesen sein, der sich um Maggies kleines Hanfwäldchen auf der Terrasse gekümmert hat.
Ich zucke mit den Schultern. Ich entspanne mich so gut es geht. »Herr Fust hat ein oder zwei Semester in Heidelberg studiert. Jedoch nicht Naturwissenschaften.«
In diesem Augenblick läutet mein Telefon. Es ist Gabriela. Ich weise den Anruf sofort ab und schalte das Telefon aus.
»Das wissen wir, zum Teufel«, sagt Fiala genervt. »Doch es bleibt uns noch ein anderes, na, Faktum.« Fiala steckt sich eine Zigarette an und blickt mir gründlich in die Augen. Ich hoffe, er lässt es bei einer bleiben. Meine Augen sind gegen Rauch empfindlich. Sind die Fenster geschlossen, habe ich stets Angst davor, der Raum könnte sich mit Qualm füllen und meine Augen könnten vor Schmerz explodieren.
»Wir haben soliden Grund zu der Annahme«, sagt er, »dass Frau Chelseworth nach dem angeblichen Verschwinden von Herrn Fust noch Kontakt zu ihm unterhalten hat. Ich meine … so richtigen Kontakt.«
Vor Schreck springe ich beinahe auf. Doch bevor ich Fragen formulieren kann, fährt der Kommissar schon fort.
»Durch die DNS -Prüfung«, sagt er, »haben wir auch Spermaspuren von Herrn Fust gefunden. Auf einem Kostümrock, der in Frau Chelseworths Schrank hing. Als Vergleich nahmen wir Haar- und Hautproben aus seinem