Der dritte Berg
ganz am Ende das Oberoi.
Ich ziehe mein Mobiltelefon hervor. Noch am Flughafen haben Sophia und ich uns Prepaid-Karten für Indien besorgt. Die Broschüre habe ich mir an der Rezeption geholt und mich dann in eine stille Ecke zum Telefonieren verzogen. Sophia hat Glück, ihr Zimmer ist schon fertig, und sie hat keinen Augenblick gezögert, mich hier allein zu lassen. Nach der Rückkehr von der Toilette trug sie eine hübsche silberblaue Hemdbluse.
Ich mache mich daran, die Hotelliste durchzutelefonieren. Ich frage nach Christian Fust und Horst Maettgen. Das Ritz und das Grand India lasse ich aus.
Bei sechs Hotels erhalte ich abschlägige Antworten. Beim siebten Anruf aber stellt sich heraus, dass beide, Christian und Maettgen, im Bengal-Star-Hotel wohnen.
Ich werde unruhig. Ich springe auf. Dann laufe ich hinaus auf die Meerespromenade. Anfangs weiß ich gar nicht, weshalb.
Die Promenade ist um diese Mittagsstunde wie leergefegt. Die Luftfeuchtigkeit ist gestiegen, ein paar Katzen und Hunde verkriechen sich im Schatten der Palmen. Die Bänke und Tischchen aus weißem Beton schwitzen eine gelbliche Flüssigkeit aus sich heraus.
Draußen, über dem offenen Meer: weißgraue Wolkenschatten. Ich halte sie erst für eine Luftspiegelung. Wolken sind in Nordindien nichts Alltägliches, nicht mal in der Ferne, sie haben strenge Regeln zu befolgen, sie benötigen glasklare Erklärungen. Doch gibt es bald keinen Zweifel mehr. Der Monsun! Ich weiß nicht alles über den Monsun im Nordosten, aber ich weiß, dass er frühestens in einem Monat kommen sollte. Ich nehme mir vor, Prabhat anzurufen. Prabhat arbeitet am Indian Institute of Tropical Meteorology in Pune, und ich will wissen, was die dazu sagen. Ich weiß nun auch, dass die kommende Woche unangenehm werden wird. Die Luft wird sich in einen feuchten Sumpf verwandeln und sich keinen erwähnenswerten Zentimeter mehr bewegen.
Ich gehe auf die lange Reihe von Silberpalmen zu, hinter denen eine große, vierspurige Straße entlangläuft, der Bay-of-Bengal-Drive. Am BBD rufe ich ein Taxi.
Wir fahren in den Nordwesten der Stadt, vorbei am Stadtzentrum mit seinen Straßenschluchten. Dort im Nordwesten, unweit des Bengal-Star-Hotels, steht ein riesiger Turm aus Glas in der südbengalischen Sonne; er ist blau, eindrucksvoll, ein steiler Pyramidenstumpf. Ein Schriftzug, der quer über die Fassade in das Glas gebrannt ist, lässt keinen Zweifel daran, wer eine ausreichend große Investitionsrücklage besitzt, um den Architekten, den Glaslieferanten und die dreitausend Mann zu zahlen, die den Pyramidenstumpf dort abgestellt haben: AROGA .
Vor dem Bengal-Star-Hotel steige ich aus dem Taxi und begebe mich zur Rezeption. Sie liegt in der eisgekühlten Lobby. Ich sei vom Organisationskomitee des Aroga-Kongresses, das bringe ich einer hustenden Empfangsdame vor, und hätte Mitteilungen für die Herren Fust und Maettgen. Die Dame greift zum Telefon und ruft an. In Horst Maettgens Zimmer ist niemand anwesend. Und ein Christian Fust, so sagt sie, sei in dem Hotel gar nicht abgestiegen. Es sei zwar ein Zimmer auf seinen Namen reserviert und auch bezahlt. »Professor Fust ist aber nicht gekommen.«
Die Hitze draußen ist zu einem wohligen Hauch geworden. Ich lehne mich an mein Taxi, das gegenüber vom Eingang parkt. Ich erwäge, einfach hier auf Maettgen zu warten. Aber irgendwo in dieser Stadt muss doch auch Christian stecken.
Bei diesem Gedanken macht sich mein Körper selbständig. Er schnellt vor, duckt sich hinab zum Taxifenster, als wolle er, dass ich den Fahrer bezahle, und ich sehe, in dieser Bewegung, zehn Meter vor mir eine Dame ihre aufsehenerregenden, in einem giftgrünen, weit ausgeschnittenen Kleid steckenden Hüften – unnütze, für die bloße Fortbewegung entbehrliche Bewegungen – durch eine Gruppe von Touristen manövrieren, vorbei an kleinen Fächerpalmen hinüber zum Hoteleingang, und mir zittern die Knie …
… während ich halb ahne, halb sehe, wie das Kleid, Rehauges verteufelt giftgrünes Kleid!, sich in einen schwingenden Fleck verwandelt, der sich in der schattigen Eishöhle der Hotellobby langsam auflöst. So als stelle man ein Objektiv unschärfer und immer unschärfer.
Mir zittern immer noch die Knie.
Dazu zischen mehrere Optionen und Reaktionen in Form von Adrenalin durch meine Adern. Ich verwerfe sie aber alle. Dass Maettgen mit seiner Sekretärin auf Reisen geht, sollte mich ja keineswegs in Erstaunen versetzen. Nicht nach dem Zusammentreffen am
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