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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
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etwas, das nicht vorhanden war, auf ein anderes projizierten.
    Zum ersten Mal wünsche ich mir, ich könnte dieser Lehre Glauben schenken. Ich wünsche mir, alles wäre nicht das, was es ist.
    Seit Tagen bin ich nichts als ein Blatt in einem wilden Sturm. Vordergründig treffe ich souveräne Entscheidungen. Doch in Wahrheit werde ich von irgendetwas herumgewirbelt.
    Ich zurre jetzt meine Gedanken fest. Ich ziehe die Zwischensumme der vergangenen Tage. Was ich bisher – in Erfüllung von Maggies Auftrag – besitze, ist bloß ein Haufen bunter Steinchen, die sich eines Tages zu einem Bild fügen werden oder auch nicht. Und ich gebe mir alle Mühe, aus diesem Bild den Brief Iskander Mahans herauszuhalten.
    Ãœber der Schweiz rufe ich vom Flugzeugtelefon Sophia an. Sie ist ganz aufgeregt und wartet bereits in Heathrow auf mich. Als ich auflege, zittere ich fast – und eine Weile ergehe ich mich in diesem Zittern. Sophia ist das Gegengift zu Iskander, ihre Aufregung muss auf mich übergesprungen sein. Ich nicke meiner Sitznachbarin, einer etwa fünfzigjährigen, sehr gutaussehenden Ärztin für Onkologie in Tel Aviv, die auf dem Weg zu einem Kongress ist, freundlich zu, schalte meinen Bordbildschirm ein und bestelle bei der Stewardess Weißwein (was zum Teufel will ich am Vormittag denn da mit). Ich vergewissere mich, dass meine Zittrigkeit nicht auch mit Sophia selber zu tun hat. Dann denke ich, Sophia erinnert mich an Maggie. Sie hat etwas Verbotenes. Jeder Dummkopf kann doch schöne Frauen mögen.
    Zur Beruhigung klappere ich alte Gedankenadressen ab: ein paar Isohypsendiagramme, dann lese ich in meinem Kopf Tabellen von Wasserrückhaltewerten in den Alpenböden; ich rekapituliere einen Artikel, den ich im letzten Jahr für National Geographic geschrieben habe: Palashi oder die Eroberung Indiens ; und ich denke an Minnie (die ich niemals mehr anrühren werde, die mich aber reizt).
    Hier folgt ein kleiner Porno, er vertäut mich vollends mit der Wirklichkeit. Denn da war die Weihnachtsfeier – vor bloß dreieinhalb Monaten – und sie ging für Minnie und mich zu Ende, als wir über mehreren Drinks entdeckten, dass wir diesen späten Abend eigentlich zu zweit, und zwar in dem Bett, das dem Partyort am nächsten lag, verbringen wollten (es war weder Minnies Bett noch meines, sondern das von Marlies, die dann irgendwo anders schlief; wir wissen bis heute nicht, wo).
    Dann weiter zu Maggie. In San Felice del Benaco, an dem Abend mit dem Streit, ist Maggie, die damals ja noch verheiratet war, immer mehr zu mir herangekrochen, schließlich sitzt sie auf mir, und Christian, der das kaum bemerkt, spricht über die Schwierigkeiten mit den alten indischen Handschriften, da sich dort die Schrift der alten Brahmi-Schrift annähert und nicht der Devanagari-Schrift gleicht, wir reden über Maggies Vater Robert Chelseworth, da dieser zu jener Zeit mit einer gefährlichen Gallengangentzündung im Krankenhaus liegt, und endlich der Streit, der seinen Ausgang eigentlich bei Maggies Behauptung nimmt, Christian sei zwar ein bedeutender Südasienhistoriker, doch auf keinem Teilgebiet sei er alleinig führend in der Welt. Jan Rytter schlage ihn auf dem Gebiet des frühen Tantrismus, und dieser Karen Priser könne er, sie wette, bei dem schwierigen Thema der Modifikation der alten Tridosha- und Ashtadhatu-Lehren durch Vagbhata (ja, Maggie wusste tatsächlich, wovon hier die Rede war, es ist Herzstück der historischen, ayurvedischen Medizin) nicht das Wasser reichen, und was die Religionswissenschaft insgesamt anbetreffe, das wisse ja jeder, denn hier hätten … Das stimmt nicht alles, aber Maggie will Christian provozieren, und das schafft sie mit links. Und in allen diesen Gesprächsthemen weiter kein Hinweis.
    Ich bestelle nochmals ungarischen Weißwein, den ich jetzt gemeinsam mit der Dame aus Tel Aviv trinke.
    Die Israelin macht mir unverhohlen Avancen – ja doch, man stelle sich kongressgelangweilt allein in dieser Stadt vor, London!, was die Leute hier essen, doch dann, das Hotel sei immerhin extraordinary , und der Jacuzzi in der Suite … – offenbar beabsichtigt sie, ihrem Mann, einem vielreisenden Physiker, eins auszuwischen. Dennoch ziehe ich die Sache eine halbe Stunde lang in Betracht, einfach nur um mich abzulenken, ich könnte in London bleiben … Die Dame ist allerdings aufregend; was am Ende aber

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