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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
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nicht ihr, sondern wieder Minnie zugutekommt. Sie will mir nicht aus dem Kopf. Jetzt, da das mit Gabriela … Ich schalte meinen Bordbildschirm ein und lasse das Gespräch mit der Onkologin dahinplätschern. Eine Dokumentation über die wegschmelzende Arktis läuft unterdessen.
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    Unter uns beginnt es bald zu dämmern. London liegt schon vorne im Dunst. Die Kabinenatmosphäre summt monoton vor sich hin. Minnie ist wieder weg. Minnie ist eine Schnapsidee. Seit fast einer Stunde habe ich auch nicht mehr an Iskander gedacht. Und mein schönes Israel: Es ist inzwischen eingenickt.

 
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    Zweites Buch
    EAST

 
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    V steht für dieser Cabbala Verzeihliche Sünden,
    das Wort der Papisten zu verwenden,
    doch aber sind es Todsünden,
    und jetzt Vampyrische , wie die Völker im Banat sagen,
    denn jetzt saugen sie Blut, wo sie es zuvor vergossen haben.
    Asiaticus 2
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    2 Das Zitat stammt aus Lawrence Norfolks Roman Lempriere’s Wörterbuch. Es wird Asiaticus, einem unbekannten Autor von Flugschriften im England des 17. Jahrhunderts in den Mund gelegt, welches dieser ganz ähnlich geschrieben haben könnte. Bei Lawrence Norfolk lebt (ein dann fiktiver) Asiaticus jedoch im 18. Jahrhundert. Asiaticus wandte sich in seinen Pamphleten gegen die britische East India Company.

 
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    VIERZEHN UHR SECHSUNDVIERZIG – die Menschheit ist im Augenblick wach und beschäftigt. Die weit entfernte Nacht döst träge über dem Pazifik, als wolle sie dort etwas länger verweilen (derart menschenleer wird sie die Erde ja so schnell nicht wieder vorfinden), und nur an den Rändern des Ozeans, dort, wo die Nacht in Dämmerung ausfranst – in Kalifornien, Seattle, Vancouver, Japan und Ostaustralien –, ergibt sich ein signifikanter Teil der Menschen dem Schlaf.
    Fast elftausend Meter über dem Boden schwebend nähern wir uns soeben Paris; Sophia sitzt neben mir und liest, und ich lehne meine Stirn gegen das Kabinenfenster. Sophia hat sich in London die Haare machen lassen. Ich habe den Eindruck, einer langsamen Metamorphose beizuwohnen. Ihr Haar sieht nun länger aus, die Spitzen drehen sich zu den Wangen hin und unter den Ohren zeigen sie nach außen. Der Friseur ist irgendein Wunderkind.
    Ich blicke auf meine Uhr: vierzehn Uhr siebenundvierzig. Warum bin ich noch niemals auf den Gedanken gekommen, es da mit der regsamsten aller Stunden des Universums zu tun zu haben? Einer Stunde, in der fast niemand schläft, während die Nacht faul auf dem Pazifik liegt. Durch die Wucht der schieren Zahl erwacht ein möglicher Gott einmal am Tag beinahe aus seinen Träumen – doch hungern in diesen göttlichen Minuten auch über eine Milliarde Menschen; mehrere tausend Verbrechen werden verübt, ein paar Handvoll Morde, und eine Hundertschaft Menschen kommt in Kriegen ums Leben; und wie viele mögen gerade Selbstmord begehen?, wie viele bei Verkehrsunfällen sterben?, wobei von mir wohlwollend geschätzte hundert Millionen aufgrund der ja doch meist unpassenden Tageszeit Liebe machen, die Übrigen, sie hämmern nähen tippen browsen telefonieren lesen schrauben schreiben kalkulieren lernen pflücken pflanzen kochen essen putzen mähen schneiden mauern zimmern schweißen, oder sie lungern in Cafés, oder an einem staubigen Straßenrand eines Townships in Sambia, wo – in meiner verschwenderischen Vorstellung – gerade ein einäugiger Trommler vorbeizieht, dem niemand Aufmerksamkeit schenkt; sie stehen im Abendlicht rauchend in New Delhis schmutzstarrendem Goushal Marg, wo ein Straßenbarbier fluchend seine tragbare Coiffeurstube einpackt; während in südostasiatischen Sweatshops junge Frauen in die Agonie einer endlosen nächsten letzten Näherinnenstunde hinübergleiten, indes unter ihnen, fast will ich sie warnen, im Souterrain des nicht vorhandenen Souterrains, Vulkane ihre Gänge brennen, Felsmassen sich schichten brechen erzittern; während Männer eiligst ein Telefonat mit ihrer Frau erledigen – denn man wartet, schon entkleidet, in einem billigen Hotel auf sie –, oder aber sie stecken mit einem Sattelschlepper auf der Route 55 im frühmorgendlichen Verkehrsstau nahe Saint Louis fest.
    Ich spüre die Welt unter mir, die ganze Welt, ich denke an Vasco, der noch wenig Vorstellung von ihr hatte, ich fühle, wie ein gigantisches Trommelstakkato das Township

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