Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
Vom Netzwerk:
einen Spaltbreit offen. Ich höre, wie Christian eine Schranktür aufstößt und in seinen Sachen zu kramen anfängt. Dann wieder seine Hände. Sie legen einen schweren Gegenstand auf den Schreibtisch. Stille. Ich sehe von dem Gegenstand nur eine dunkelgraue Spitze, nicht spitz, eher rund. Die Hände streichen über die Notizbücher, unentschlossen, dann sind sie wieder weg. Musik ertönt jetzt. Mahler. Irgendein Mahler. Ich warte ein paar Minuten ab. Nichts geschieht. Keine Geräusche, keine Türen, keine Hände. Dann lasse ich das Rankgerüst los, ich bin jetzt so weit, das riskieren zu können, fasse in die Fensterleibung und ziehe mich ein Stück hinüber. Ich neige meinen Kopf vor, so weit das möglich ist. Ich sehe: Christians Füße in Schuhen auf dem Bett, und eine Automatik-Pistole, es ist der dunkle Gegenstand, liegt auf dem Schreibtisch. Erneut beginnt es mich zu schütteln, doch diesmal ist es eher ein vibrierendes Zittern, das in meine in die Fensterleibung greifende Hand kommt. Ich bin auf keinen Fall imstande, es zu beenden.
    Steif schiebe ich mich wieder hinüber zu den Hibiskusblüten, steige langsam in die Flachstahlbänder des Rankgerüsts und klettere an ihnen hinunter. Ich schleiche an der Hauswand entlang, lese meine Schuhe auf und bewege mich hinüber zum Gärtnerhäuschen. Dort entledige ich mich meiner Verkleidung und renne auf die Grundstücksmauer zu. Fast springe ich in einem Satz über die Mauer und bin auch schon bei meinem Taxi.
    Â 
    Noch immer zittere ich, schon auf dem Rücksitz, und der Taxifahrer mustert mich mit hochgezogenen Brauen.
    Zehn Minuten später stehen wir im frühen Nachmittagsstau. Die Brände. Der Himmel über der Küste ist dunkelgrau. Meine Aufregung hat sich gelegt. Da ist jetzt bloß noch Ekel in mir. Da sind, dort drüben, irgendwo am Rand der Stadt, die Schuhe eines Mannes gewesen, den ich einmal in mich aufgenommen hatte. Man weiß um die Kraft der Freundschaft erst, wenn sie droht, vorüber zu sein. Ohne dass man es merkte, haben sich die Seelen gemischt und man ist ein anderer geworden. Und wenn sie sich wieder trennen, wird Fleisch herausgerissen. Ich verliere gerade, in diesen Augenblicken, einen Teil der Welt, die ich einmal war.
    Als mein Taxi endlich wieder vorankommt, wird mir endgültig schlecht. Ich gebe dem Fahrer ein rasches Zeichen anzuhalten. Neben einem Straßenrestaurant springe ich aus dem Wagen und verschmutze den Bürgersteig unter einem Bananenstrauch. Es ist bloß eine Menge Flüssigkeit, ich habe auf der Polizeistation nur wenig zu mir nehmen können. Ich wische mir den Mund notdürftig mit einem Stück Bananenblatt ab und taumle in das staubige Restaurant, um den Säuregeschmack loszuwerden. Ich setze mich an einem einsamen Tisch auf einen der Plastikstühle, zwei Servietten leisten mir Dienste, und bestelle bei einem dürren Kellner Tee und vier Shingaras. Die öligen Inhalte der Shingara-Teigtaschen schlinge ich dann gierig hinunter in der Hoffnung, sie besäßen genügend gravitationale Macht, um mich wieder in der realen Welt zu verankern.
    Als ich zurück ins Taxi krieche, sagt der Fahrer bloß: »Sir, bad food at Mukherjee’s?«

 
    Â 
    Â 
    DER INDISCHE OZEAN kommt nicht mehr zur Ruhe. Die Stadt ist mit Ruß bedeckt, die Ratten pfeifen (ein silbriger Ton schlängelt sich durch die Straßen) und im Golf von Bengalen graben sich Windböen in den Ozean hinein. Sie schichten die Wasser aufeinander und treiben das große Meer langsam an die Küste heran.
    Der Schatten der Fächerpalme über uns macht die Nachmittagsstunde an der Meerespromenade erträglich. In diesem Teil der Stadt ist der Brandgeruch verschwunden. Der stärker werdende Wind hat auf Westsüdwest gedreht und die Luft riecht jetzt nach Meer, nach Müll, und von irgendwoher nach Hühnercurry.
    Â»Die Brände haben sich ausgeweitet«, sagt Sophia. »Die fressen sich seit Tagen in das Industriegebiet im Norden.«
    Befindet sich dort, denke ich, nicht das geografische Forschungszentrum von diesem Dasgupta?
    Â»Ich wette, der Spuk ist bald von ganz allein vorüber«, sage ich und lasse, es ist als Erklärung gedacht, meinen Blick draußen auf dem Meer herumstreifen.
    Denn vor uns – noch immer weit im Süden – steht eine dunkle, unten ausgeflockte Wolkenwalze.
    In den letzten Wochen hat sich die

Weitere Kostenlose Bücher