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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
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tibetische Hochebene stärker erwärmt als in anderen Jahren. In Lhasa herrschen schon im April Temperaturen von über zwanzig Grad. Die innertropischen Konvergenzzonen am Äquator verlagern sich zu früh und lassen ihre Passatwinde schon jetzt los, Passatwinde, die von den vorzeitig aufsteigenden Luftozeanen über Tibet und Nordindien angesogen werden, als seien sie in einem sonnendurchfluteten Salon herumschwirrende Staubpartikel und nicht mehrere Prozent der gesamten irdischen Troposphäre. Diese Luftmeere bepacken sich über dem Indischen Ozean nun schon in solchem Ausmaß mit Wasser, dass bald nur noch die kilometerbreiten Flüsse Nordindiens sie in annähernd geordnete Bahnen lenken können. Nicht weit von Kalonagar, oben in den Bergen, befinden sich die regenreichsten Regionen der Erde, monatelang ist dort der Himmel schwarzgrau und tödlich, an den Küsten brüllen Zyklone, und die Fluten steigen. Tausende von Menschen ertrinken jedes Jahr in Bangladesh, in Assam und Bengalen, während der Nordostmonsun gleichzeitig die lange ausgedörrten Felder von Bihar, Chhattisgarh, Jharkhand und Orissa wieder mit Leben füllt.
    Â»Sicher hat Christian jetzt Feuer unterm Arsch«, sagt Sophia und wirft mir bei der Erwähnung von Christians Namen einen unsicheren Blick zu. »Während des Monsuns kann man nicht einfach so hoch in den Himalaya.«
    Ja, wir glauben, Christian will hinauf in die Berge. Ich habe Sophia von meiner nächtlichen Beobachtung an der Promenade berichtet (durch Vertraulichkeiten versuche ich ihr Vertrauen zu binden). Sikkim , sagte Maettgen zu Schmithausen auf der Promenade. Und Sikkim ist einer von drei indischen Bundesstaaten, die direkt im Himalaya-Gebirge liegen.
    Die Sonne steht uns schon im Rücken; in zwei Stunden wird sie sich in Chhattisgarh und Jharkhand, Landesteilen, die ich nicht kenne, und wo es noch viel, viel heißer ist, abrupt vom Tagwerk zurückziehen.
    Â»Verzeih mir«, sage ich, als Sophia aufstehen will.
    Â»So, und was?« Sie lehnt sich wieder in die Bank und hebt ihren Kopf; ihr Kinn schiebt sich trotzig nach vorne.
    Â»Dachte, du hättest geredet.«
    Sophia zieht ihre Stirn in Falten und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an.
    Â»Dachte«, sage ich kleinlaut, »du hättest mich bei Christian verraten. Dass ich in der Stadt bin, und im Oberoi.«
    Â»Scheiße«, sagt Sophia.
    Sie nimmt ihre Kamera, steht auf und geht über die Promenade zur Kaimauer. Ich beobachte sie dabei, ihren storchenhaften, schönen Gang, und ich sehe die Intelligenz in ihren Augen, als sie – jetzt lächelnd – zu mir nach hinten blickt. Ich folge ihr.
    An der Kaimauer angelangt, knickt Sophia in der Hüfte ab, dann kniet sie sich fotografierend hin. Fotografin hätte zu ihr gepasst. Schätzender Blick, Kameratasche, Kinderköpfe tätschelnd in einem tibetischen Dorf. Sie schießt ein erstes Bild von mir. Dann noch eines.
    Â»Gib her«, sage ich und nehme ihr die Kamera aus der Hand.
    Sophia trägt Jeans-Shorts, ein dunkelgrün gemustertes, gut geschnittenes Top und ihre flachen Sandalen. Dazu ein kleines, schwarzes Halsband. Ich fotografiere Sophia an der Kaimauer, Sophia über dem Ozean schwebend; Sophia unten auf den Steinen der Wehr.
    Die Wellen springen an der Kaimauer immer höher empor. Teile der Gischt landen auf der Mauerkrone, wo diese zerrinnt wie Schnee, bloß schneller. Bevor wir völlig durchnässt sind, gehen wir nach hinten zur Straße. Am Bay-of-Bengal-Drive nehmen wir ein Taxi in die Independence Road. Die Zahl auf der Karte von diesem italienischen Restaurant, die ich in Christians Zimmer fand, kann eine Zeitangabe sein: 17:30 Uhr.
    Â 
    Im Taxi sage ich Sophia, dass ich sie mag. Es ist nichts als die Wahrheit. Ich fühle mich seit Stunden sehr zu Sophia hingezogen, gebe mir aber Mühe, ihr das nur in Maßen zu zeigen. Eine kühle Überlegung in mir weist mich zudem darauf hin, dass es wohl einfach zwei Wochen her ist, dass ich mit einer Frau geschlafen habe. Sophia erwidert kein Wort, stattdessen küsst sie mich und starrt dann stumm aus dem Fenster.
    Â»Du bist schön«, sage ich.
    Â»Und Gabriela, Minnie«, sagt sie tonlos.
    Offenbar habe ich diese beiden einmal erwähnt. Oder sie weiß es von Christian.
    Â»Wer?«, sage ich.
    Unweit des La-Caverna -Restaurants steigen wir aus dem Wagen. Es ist kurz vor sechs Uhr. Die

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