Der dritte Berg
zugewachsenen Fluss glaube ich auszumachen. Ich gebe den Befehl, ein Stück nach Süden zu gehen, in Richtung des anderen Flusses, des Rangyong. Eine Stunde später entdecken wir, dass der kleine Fluss, der durch das Tal flieÃt, vor einer Felswand im Boden verschwindet; das Tal ist also von unten verschlossen. Wir gehen wieder hinauf und steigen dort die steile Hügelflanke hinunter. Das gesamte Tal und mit ihm der Fluss sind überwachsen, es gibt Felsüberhänge und mein Kompass zittert. Es mag hier groÃe Erzvorkommen geben. Als wir ein Stück flussaufwärts gehen, dreht sich der Kompass bloà noch im Kreis. Dann finden wir eine Feuerstelle. Sie wird viel benutzt. Weiter hinten schlieÃlich stoÃen wir auf eine Blockhütte, ungewöhnliche Architektur für Sikkim, und auf eine zweite Hütte. Es ist aber niemand da. Es mögen Hirten sein oder Einsiedler, die diese Hütten benutzen. Erst am nächsten Morgen begegnen wir einem schweigsamen, älteren Mann, der uns streng ansieht. Dann lacht er, so lange, dass wir uns alle ganz unmöglich fühlen. Er zeigt uns eine heiÃe Quelle. Sie erklärt das warme Mikroklima, das entlang des Flusses herrscht. Und noch immer spricht der Asket, denn ein solcher scheint er zu sein, kein Wort. Wir nehmen ein Bad in der heiÃen Quelle. Die Wassertemperatur beträgt 39,3 Grad Celsius. Dann ziehen wir uns wieder zu den Zelten zurück, welche die Träger auf einer Steinbank inzwischen aufgebaut haben. Selbst auf meine hartnäckigen Fragen hin nennt der Einsiedler mir seinen Namen nicht. Er lacht bloà wieder. Er will mich (und uns alle) loswerden, das ist klar. Neben der Feuerstelle finden wir einen kleinen Haufen Haare, die wahrscheinlich von dem Einsiedler stammen, und die B.N. Reddy, unser Ethnologe, in seine Tasche packt. Mir kommt es so vor, als betrachte er die Menschen in dieser abgelegenen Region wie seltene Tierarten, und ich finde seine Vorgangsweise töricht.
Der nächste Morgen â¦
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Es folgen eine lange Beschreibung der folgenden Tage, genaue geografische Angaben bezüglich des Tals, grobe Vermessungsdaten, Aufzählungen von gefundenen Pflanzenspezies, Gesteinen sowie gemessenen und geschätzten Gesteinstiefen. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll. Hat es mit Christians geplanter Reise nach Sikkim zu tun? Will er etwa zu diesem Tal? Ich bin völlig erschöpft. Als wäre die Lektüre des Berichts schwere körperliche Arbeit gewesen. Am Ende fällt mir noch eine FuÃnote ins Auge. Es sieht aus, als sei sie später eingefügt worden. Die FuÃnoten hatte ich bisher alle übergangen. FuÃnote Nummer 21a lautet:
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21a) Exakte Positionsangaben des Tals erwiesen sich als schwierig zu erstellen; aufgrund von Erzvorkommen? Das Tal mit der Katalognummer Si 171-4 scheint aber unbekannt zu sein. Eine genaue Kartierung ist erforderlich. Siehe die bald folgende, exakte Auswertung der Forschungsergebnisse.
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Und ganz am Schluss des Artikels gibt es noch eine kurze handschriftliche Notiz:
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Veröffentlichung des gekürzten Berichts im Bulletin of Asian Geography (University of Wisconsin), Januar 1981, sowie im Journal of the Geographical Society of India, Juli 1983. Keinerlei Reaktion. Man hat nicht begriffen. Und die verfluchte Db erlaubt mir nicht, auf einer weiteren Expedition unwiderlegbare Beweise zu sammeln.
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Was ist Db? Diabetes? Es scheint jedenfalls, Dasgupta war an diesem sonderbaren Ort nur ein einziges Mal.
Eine Stunde später kommt Sophia zurück. Sie nimmt meine Hand und blickt mir in die Augen. Der Nebel in mir hat sich gelichtet.
Erst jetzt erzähle ich. Meine Zunge ist alt und spröde. Dann sehen wir uns im Netz um. In allen regionalen Zeitungen die Nachricht vom Tod Dasguptas. Man hat seine Leiche doch noch entdeckt. Dasgupta, so die Nachricht, habe vor seinem Tod einen Notruf absetzen können. Kein Wort von der Explosion oder von einer Schussverletzung.
»Christian«, sage ich.
»Ja«, sagt Sophia. »Ich verstehe.«
»Was ist mit Schmithausen?«, frage ich.
»Hat angerufen«, sagt Sophia. »Aus den Nachrichten weià er von Dasgupta, hat aber sonst keine Ahnung. Ich vermute, er will versuchen Mukherjee zu treffen.«
Wir gehen hinunter auf die Promenade und essen in einem kleinen Restaurant. Nichts schmeckt mir. Sophia hält meine Hand. Ich erzähle ihr nun auch von Dasguptas
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