Der dritte Kontinent (Artesian 3) (German Edition)
Haut durchnässt war, kehrte sie an Bord zurück.
Drinnen zog sie ihre Uniform aus und öffnete den Spind. Die Feldrationen der Litkov-Söldner bestanden aus Zwieback, Nährpaste und Wasser und enthielten alles für eine gesunde aber schlecht schmeckende Mahlzeit. Sie hatte drei davon an Bord, nahm eine heraus und betrachtete nachdenklich die noch trockene Uniform, die daneben hing. Alles für den Kapitän, dachte sie. Als einfacher Leutnant hatte sie sich selbst um Wäsche und Vorräte kümmern müssen. Sie schloss den Spind und ließ sich in den Pilotensitz gleiten.
Madigan knabberte gedankenverloren an einem Zwieback. Etwas fehlte. „Double-T, ich möchte Musik hören. Klassische Musik.“
„Etwas Bestimmtes?“
„Nein!“
Leise erklangen die ersten Töne von Dvořáks 9. Sinfonie, wurden lauter und legten sich über den steten Regen, der auf der Hülle des Jägers seine eigene Melodie spielte. Die Musik beruhigte sie und weckte zugleich die tiefe Trauer, die sie doch eigentlich hinter sich hatte lassen wollen. Hockster war tot, hatte sie verlassen im kalten Winter von Trenadil. Ihr gemeinsames Kind lebte, aber es war in den Händen der Chetekken. Noch hatte Madigan kein Bild von ihrem Kind, nur ein Gefühl, das stärker wurde mit jeder Stunde, da es nicht in ihrer Nähe war.
Die Erinnerungen kamen jetzt wie Blitze aus einem wolkenverhangenen Himmel und mit ihnen ein Gefühl tiefen Bedauerns. Hockster und sie hatten nie genug Zeit füreinander gehabt. Über jeder Begegnung, jeder gemeinsamen Stunde lag der Schatten einer einsamen Zukunft. Sie hatten sich geliebt wie Reisende, die kurz am selben Ort verweilten und dann am nächsten Morgen wieder weiterzogen. Und immer schien es ein Morgen zu geben, bis zu jenem Abend, an dem Hockster ermordet worden war. Als er starb, hatte sie die Angst gefühlt, die einen Menschen über alle Vernunft hinaus lähmen konnte. Angst und Verzweiflung. Da war es zu spät, ihm zu sagen, dass sie ihn liebt, zu spät, ein gemeinsames Leben zu beginnen, zu spät, eine Familie zu gründen. Sie hatte es ihm sagen wollen, immer wieder, aber immer wieder hatte sie geglaubt, es müsse einen besseren Zeitpunkt geben, als diesen einen rauschhaften Augenblick zwischen zwei Küssen. Der Moment war nie gekommen und dann war es zu spät. Sie hatte ihn verloren. Jetzt war sie allein für ihr gemeinsames Kind verantwortlich. Wenn sie es verlor, traf sie die Schuld allein. Seine Stärke fehlte ihr und sein Glaube an eine bessere Zukunft.
Als sie bemerkte, dass sie schwanger war, hatte sie anfangs nichts dabei gespürt. Erst später, als sie Hocksters Tod zumindest ein klein wenig akzeptieren konnte, nahm das heranwachsende Leben in ihrem Leib auch einen immer größeren Platz in ihrem Alltag ein. Hin und her gerissen zwischen ihrer Pflicht als Kapitän der Söldner und Mutter ihres Kindes, hatte sie sich schließlich entschieden, die Schwangerschaft zu unterbrechen. Eine Entscheidung, die jetzt das Leben des Kindes bedrohte und doch war Madigan überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Wie hätte sie auch vorhersehen können, dass Chetekken den Weg auf die Independence finden würden.
Die Musik wurde leiser und endete.
„Das Gewitter dreht nach Süden“, sagte Double-T leise.
Endlich! Madigan sah aus dem Fenster. Inzwischen war es Nacht geworden. „Startsequenz einleiten!“ Sie stand auf, nahm den trockenen Anzug aus dem Spind und hängte die nassen Sachen hinein. „Lokalisiere die letzte bekannte Position der Box.“ Sie stieg in die Hose und zog das Hemd an. „Frequenz der Box aufschalten und das Signal verfolgen.“ Zuletzt schlüpfte sie in die Uniformjacke.
„Sie sollten etwas essen!“
„Kurs setzen!“
Der grüne Punkt erschien auf dem Display. Er bewegte sich nicht vorwärts und nicht zurück. Madigan beobachtete misstrauisch die Angaben.
„Geschwindigkeit des Ziels.“
„Null!“, erwiderte Double-T. „Das Schiff ankert an der Küste einer Insel.“
Das war eine gute Nachricht!
Sie packte die Notration zusammen und stellte sie auf den Boden. Wenn es ihr gelang, unbemerkt zu landen, konnte sie die Box von den Chetekken zurückstehlen.
Für die Landung hatte wählte Madigan einen Platz, der in ausreichender Entfernung vom Schiff der Chetekken lag. Sie programmierte eine neue Wächterroutine für Karl, löste die Halterung und folgte ihm nach draußen.
Der schwache Schein eines Feuers in der Ferne wies ihr den Weg. Sie schlug einen weiten Bogen, entfernte sich von
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