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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Skudder. »Außerdem haben wir keine Zeit. Der Hohe Rat hat in einer halben Stunde eine Versammlung einberufen. Deshalb habe ich dich auch geweckt. Ich glaube, es ist besser, wenn du dabei bist.« »Eine halbe Stunde?« stieß Charity in übertrieben gespieltem Entsetzen hervor. »Oh, Gott! Dann muß ich mich beeilen! Ich muß noch baden, mir eine Dauerwelle legen lassen und meine Fingernägel maniküren… was meinst du? Reicht die Zeit noch, auf einen Sprung im Beauty-Salon vorbeizuschauen?« Sie betrat das Bad, schlug den Duschvorhang beiseite und begann zitterig mit den Warm- und Kaltwasserhähnen zu kämpfen. Sie wußte, daß sie die ideale Temperatur sowieso nicht finden würde. Eines der ungelösten Rätsel des Universums würde wahrscheinlich auf immer bleiben, warum Duschwannen prinzipiell nie die richtige Temperatur hatten, ganz gleich, welcher Technologie die Mischbatterien auch entsprangen. Sie versuchte es trotzdem und rief über die Schulter zurück: »Was ist mit Gurk?« »Hartmann hat ihn festnehmen lassen«, antwortete Skudder. »Was?« Charity fuhr überrascht herum. Skudder war ihr bis zur Badezimmertür gefolgt und lehnte am Rahmen. »Keine Angst«, sagte er. »Gurk war zwar nicht besonders begeistert, aber es war das einzige, was Hartmann tun konnte. Die Leute hier sind im Moment auf Außerirdische nicht besonders gut zu sprechen, fürchte ich.« Wahrscheinlich hat er recht damit, dachte Charity. Sie betrachtete den rauschenden Wasserstrahl hinter sich einen Moment lang nachdenklich, dann hielt sie die Hand hinein, stellte fest, daß er viel zu kalt war, und drehte das Wasser wieder ab. 
     
    *
     
    »Du hast wirklich eine reizende Art, alte Freunde willkommen zu heißen«, nörgelte Gurk. »Ich sitze seit zwei Tagen in diesem verdammten Loch fest, werde mit Wasser und Brot knapp vor dem Verhungern bewahrt und –« »Es sind anderthalb Tage«, unterbrach ihn Charity. »Und so viel ich weiß, mußt du nur alle paar Wochen etwas essen und kommst mindestens einen Monat ohne Flüssigkeit aus.« Sie wandte sich an den jungen Soldaten, der ihr die Tür geöffnet hatte und nun nervös von ihr zu Gurk und wieder zurück sah. Seine Hand spielte am Griff der Waffe, die er an der Seite trug. Er war fast doppelt so groß wie Gurk und wog vermutlich knapp viermal so viel, aber es war nicht zu übersehen, daß er Angst vor dem kahlköpfigen Gnom hatte. »Es ist in Ordnung«, sagte Charity zu dem jungen Burschen. »Sie können uns allein lassen.« »Sind sie sicher?« fragte der Soldat. »Ich meine, der Kleine da –« »Ganz sicher«, sagte Charity. »Warten Sie draußen vor der Tür. Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche.« Der Soldat betrachtete sie noch eine weitere Sekunde unschlüssig, aber dann deutete er ein Schulterzucken an, trat aus dem Raum und zog die Tür hinter sich zu. »Man könnte meinen, daß ich mich von kleinen Kindern ernähre und ab und zu nur so zum Zeitvertreib eine kleine Stadt niederbrenne«, maulte Gurk. »Was hast du ihnen über mich erzählt?« »Nichts«, antwortete Charity. »Bis vor anderthalb Tagen wußte ich noch nicht einmal, daß es dich noch gibt. Ich dachte, du wärst tot. Wir alle dachten, du hättest den Löffel abgegeben.« Sie ging zum Tisch, zog sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder, so daß ihr und Gurks Gesicht sich auf gleicher Höhe befanden. Zum erstenmal, seit sie den Außerirdischen wiedergesehen hatte, fand Charity die Gelegenheit, ihn wirklich genauer in Augenschein zu nehmen. Gurk schien sich nicht verändert zu haben. Seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, waren mehr als acht Jahren vergangen, und Charity wußte, daß Dinge – und ganz besonders Gesichter – dazu neigten, sich in der Erinnerung zu verändern. Gurk aber schien noch haargenau so zu sein wie damals. Charity wußte nicht viel über ihn, und noch weniger über das Volk, zu dem er gehörte. Möglicherweise lebte diese Spezies Jahrhunderte, vielleicht sogar noch viel länger, so daß eine Kleinigkeit wie acht Jahre überhaupt keine Spuren in seinem Gesicht hinterlassen konnten.  Und trotzdem… irgendwie hatte sie damit gerechnet, daß Gurk sich verändert hätte, und sei es nur um eine Winzigkeit. »Willst du jetzt weitere anderthalb Tage damit verbringen, mich anzustarren?« fragte Gurk. »Nein«, antwortete Charity. »Wie geht es dir? Haben sie dich gut behandelt?« Die zweite Frage war im Grunde überflüssig. Die »Zelle«, in die Hartmann

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