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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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fragte sie, an niemand Bestimmten gewandt, aber nur noch einen Deut davon entfernt, wütend loszuschreien. »Bei nächster Gelegenheit«, antwortete Hartmann. »Was läuft hier eigentlich?« fragte Charity mühsam beherrscht. »Seid ihr dabei, mich auszubooten? Warum? Habe ich gegen irgendeine heilige Regel verstoßen, ohne es zu merken, oder –« Sie stockte. Weder Hartmann noch einer der drei anderen hatte bisher irgendwie auf ihren Beinahe-Wutanfall reagiert, doch an dem Schweigen der anderen war etwas sonderbar Betretenes, das Charity beinahe mehr sagte, als Worte es vermocht hätten. Und plötzlich verstand sie. »Wer?« Der fragende Blick, den Hartmann ihr zuwarf, ließ Charity ihre Meinung über seine Qualitäten als Schauspieler ein wenig revidieren. Aber es änderte nichts daran, daß ihr plötzlich ganz klar war, was hier gespielt wurde. »Wer von euch wollte fliegen? Du, nicht wahr?« Hartmann schwieg beharrlich – aber im Grunde war es keine Frage gewesen, sondern eine Feststellung. Hartmann und Skudder waren die einzigen, die in Frage kamen. Weder Dubois noch Harris hatten die notwendige Ausbildung, um dieses Schiff zu fliegen, und Skudder war noch nie in der Lage gewesen, irgend etwas länger als zehn Sekunden vor ihr zu verheimlichen. »Du«, sagte Charity noch einmal. »Kein Wunder, daß ich nichts von eurem famosen Plan erfahren sollte. Du weißt, daß ich es nicht zulasse.« »Ich werde –« »Dich umbringen, ja. Diese Aktion ist ein Himmelfahrtskommando. Deine Chance, zurückzukommen, ist –« »Genauso hoch wie deine«, unterbrach Hartmann sie, provozierte damit aber nur ein noch heftigeres Kopfschütteln. »Ich bin die bessere Pilotin, das weißt du«, sagte Charity. »Und so ganz nebenbei habe ich nicht die Verantwortung für eine Frau und zwei Kinder.« »Blödsinn«, sagte Hartmann. »Seit wann nimmst du auf so etwas Rücksicht?« »Seit jetzt«, antwortete Charity. »Ende der Diskussion. Ich fliege.« »Das hattest du sowieso vor, nicht wahr?« Hartmann hört sich trotzig an wie ein verstocktes kleines Kind, dachte Charity. Nicht wie ein General, der versucht, seinen Standpunkt zu vertreten. Aber sie spürte auch, daß sie bereits gewonnen hatte. Hartmann lieferte ihr nur noch ein Rückzugsgefecht, um sein Gesicht zu wahren, mehr nicht. »Warum warten wir nicht einfach ab, bis die HOME RUN hier eingetroffen und instand gesetzt ist?« mischte Skudder sich ein. Er wandte sich an Harris. »Hast du schon einen Piloten, der die Kiste hierher fliegt? Ich könnte allmählich wieder ein bißchen Übung gebrauchen.«

Kapitel 9
    Als Charity neunundzwanzig Jahre alt gewesen war und ein anderes Leben in einer anderen Welt geführt hatte, hatten sie und ihr damaliger Lebensgefährte ein Haus gebaut. Dabei hatte sie Cheops Gesetz kennengelernt: Ganz egal, wie gründlich man plant – es dauert immer doppelt so lange und kostet dreimal so viel, wie man meint. Was für viertausend Jahre alte Pyramiden ebenso galt wie für einfache Reihenhäuser in einer amerikanischen Vorstadt-siedlung, das traf auch auf Raumschiffe zu, selbst nach einer außerirdischen Invasion und nachfolgender fünfzigjähriger Besatzungszeit. Sie hatten nicht drei, sondern annähernd fünf Wochen gebraucht, um aus dem fliegenden Schrotthaufen, den Harris Raumschiff genannt hatte, wieder ein halbwegs funktionstüchtiges Fahrzeug zu machen, und Hartmann hatte es irgendwann nach der zweiten Woche aufgegeben, über die Kosten Buch zu führen. Vermutlich hätten sie für den Betrag, den die Umrüstung verschlungen hatte, drei bessere Schiffe bauen können. Allerdings nicht in fünf Wochen, und da lag das Problem. Nichts war im Moment so kostbar wie Zeit. Auf dem Instrumentenpult vor Charity begann ein winziges orangefarbenes Lämpchen zu blinken. Es war nur eines von Dutzenden, wenn nicht gar Hunderten; trotzdem riß das rhythmische Flackern Charity aus ihren Gedanken, und beinahe erschrocken setzte sie sich auf. Es war soweit. Hartmann hatte das vereinbarte Signal gegeben. Charitys zweiter Blick galt der Uhr. Hartmann hatte eine gute halbe Stunde Verspätung, aber das lag noch innerhalb der kalkulierten Toleranz. Sie hatte eine Reise von annähernd sieben Wochen vor sich. Was machte da schon eine halbe Stunde? Trotzdem verspürte Charity ein leichtes nervöses Kribbeln im Magen, als sie die Hände nach den fremdartigen Kontrollen der Stingray ausstreckte und die Systeme eines nach dem anderen aktivierte.

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