Der dritte Mond
Sie hatte nicht allzuviel mit dem Schiff üben können. Mit Ausnahme der kleinen Gruppe, die sich an jenem Abend im Hangar getroffen hatte, wußte nur eine Handvoll ausgesuchter Männer und Frauen von der Existenz dieses Schiffes, und das mußte auch so bleiben. Charitys praktische Übungen mit der Stingray hatten sich auf wenige Stunden beschränkt, in denen Hartmann einen teilweisen Ausfall der Raumüberwachung arrangiert hatte. Charity hatte nicht annähernd so viele Übungsstunden absolviert, wie eigentlich nötig gewesen wären. Aber es mußte reichen. Das Schiff begann sacht zu zittern. Charity ließ ihren Blick noch einmal prüfend über das Sammelsurium von originalen und nachträglich eingebauten Instrumenten gleiten, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß sie ja nichts vergessen hatte, und zündete die Startdüsen. Die Stingray hob fast erschütterungsfrei ab und drehte die stumpfe Nase den riesigen Hangartoren zu. Sie glitten auf, als das Schiff den Hangar zur Hälfte durchquert hatte, und gewährten Charity einen Blick auf das prachtvolle Panorama der Erde im hellen Sonnenlicht. Hartmanns Timing war perfekt. Die HOME RUN näherte sich der EXCALIBUR in direkter Richtung auf die Sonne. Selbst wenn jemand an Bord des Schiffes zufällig einen Blick aus dem Fenster warf, würde er nichts sehen. Die Stingray glitt langsam aus dem Rumpf der EXCALIBUR heraus und nahm Kurs auf den vereinbarten Rendezvouspunkt. Es dauerte zehn Minuten, bis Charity einen winzigen Punkt vor dem Hintergrund der Erdkugel identifizierte, und weitere zwanzig Minuten, in denen dieser Punkt nach und nach zu dem achtzig Meter langen, zerklüfteten Umriß der HOME RUN heranwuchs. Die Stingray glitt dem Schiff präzise auf dem vorausberechneten Kurs entgegen. Trotzdem schlug Charitys Herz schneller. Ihre Hände, die direkt über den Kontrollen schwebten, begannen spürbar zu zittern. Unendlich behutsam drehte sie das Schiff, bis der erbeutete Jäger auf einem parallelen Kurs langsamer vor der HOME RUN vorausflog. Sämtliche Systeme des Schiffes arbeiteten einwandfrei; der Jet reagierte auf Charitys Befehle, als wäre er ein lebendes Wesen, das ihre Absichten beinahe vorausahnte und sein Möglichstes tat, um ihr zu Diensten zu sein, und Charity fragte sich nicht zum erstenmal, wozu diese Schiffe in der Lage sein mochten, wenn man ihre volle Kapazität ausschöpfen konnte. Sie wußte um die mannigfaltigen Selbstzerstörungs- und Sicherheitssysteme, die in den Stingray eingebaut waren, und hatte es deshalb bislang nicht gewagt, den Bordcomputer einzuschalten, sondern flog das Schiff nur mit Hilfe der nachträglich eingebauten Systeme, die Hartmanns Techniker auf die vorhandene Elektronik aufgestülpt hatten – ungefähr so, als ob man einen hochgezüchteten Sportwagen über eine Rennpiste jagte, indem man dem Fahrer über Funk Anweisungen gab, wann er die Kupplung treten oder Gas geben mußte. Trotzdem hätte Charity es selbst jetzt ohne zu zögern mit jeder von Hartmanns Vipern aufgenommen. Mit voll hochgefahrenen Systemen mußten diese Kampfmaschinen praktisch unbesiegbar sein. Sie waren schneller, manövrierfähiger, beweglicher und besser gepanzert als die Vipern, von der überlegenen Bewaffnung und den viel stärkeren Schutzschirmen ganz zu schweigen. Mit jeder Minute, die Charity im Cockpit einer dieser Maschinen verbrachte, verstand sie weniger, wie es Skudder und ihr gelungen war, die Stingrays gleich reihenweise abzuschießen. Eigentlich war es unmöglich. Nein, nicht eigentlich… Es war unmöglich. Aber das war schließlich längst nicht das einzige Rätsel im Zusammenhang mit den unbekannten Angreifern. Alles an ihnen war ein einziges Rätsel. Die HOME RUN hatte mittlerweile aufgeholt und befand sich jetzt annähernd neben der Stingray. Charity beschleunigte behutsam, bis der Jet seine Geschwindigkeit der des größeren Schiffes nahezu angeglichen hatte. Gleichzeitig verringerte sie den Abstand zwischen den beiden Schiffen. Das Manöver erforderte ihre gesamte Konzentration. Es war lange her, daß sie ein solch diffiziles Manöver ohne Computerunterstützung ausgeführt hatte –immerhin bewegten sich die beiden Schiffe mit immer noch guten dreißigtausend Meilen pro Stunde nebeneinander her. Die kleinste Unachtsamkeit, ein winziger Fehler, mußte katastrophale Folgen haben. Nichts dergleichen geschah. Charity war selbst ein wenig erstaunt, wie souverän und sicher sie das im Grunde immer noch fremde Fahrzeug
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