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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Tieren heute nur noch als graduell erscheinen. So schilderte ich in Kapitel 8, daß bei Grünen Meerkat­zen Ansätze einer eigenen Sprache zu beobachten sind. Es mag schwerfallen, sich Fledermäuse als edle Wesen vorzustellen, doch immerhin praktizieren die Angehöri­gen der Familie der Blattnasen altruistische Verhaltens­weisen (natürlich nur gegenüber Artgenossen). Was die Schattenseiten unseres Wesens betrifft, so wurde Mord inzwischen bei unzähligen Tierarten nachgewiesen, Ge­nozid bei Wölfen und Schimpansen, Vergewaltigung bei Enten und Orang-Utans und organisierte Kriegführung und Sklaverei bei Ameisen.
    Als absolute Unterscheidungsmerkmale zwischen uns und dem Tierreich bleiben nach diesen Entdeckun­gen außer der Kunst nur wenige Merkmale übrig, und in den ersten 6 960 000 Jahren seit unserer Trennung von den Schimpansen kamen wir ja auch ohne sie aus. Die frühesten Kunstformen mögen Holzschnitzereien und Körperbemalungen gewesen sein, aber genau wis­sen wir das natürlich nicht, da sie keine Spuren hinter­ließen. Die ersten erhaltenen, wenngleich umstrittenen Hinweise auf menschliche Kunst sind Blumenreste an Skeletten von Neandertalern und Einritzungen an Tier­knochen, die man an ihren Lagerstätten fand. Ob es sich dabei um bewußt vollbrachte Leistungen handelte, steht jedoch in Frage. Erst für die Zeit nach dem Aufstieg der Cro-Magnon-Menschen vor rund 40 000 Jahren besit­zen wir unwiderlegbare Beweise künstlerischen Schaf­fens, und zwar in Gestalt der berühmten Höhlenmale­reien von Lascaux, von Figuren, Halsketten und Musik­instrumenten.
    Wer behauptet, Kunst käme nur beim Menschen vor, muß auch sagen, wodurch sie sich denn von zunächst gleich erscheinenden Werken von Tieren, zum Beispiel dem Gesang der Vögel, unterscheidet. Drei Unterschie­de werden oft genannt : Die menschliche Kunst verfolge keine praktischen Zwecke, diene nur dem ästhetischen Genuß und werde durch Lernen statt durch Vererbung weitervermittelt. Diese Aussagen wollen wir näher be­trachten.
    Zum ersten Unterschied bemerkte Oscar Wilde ein­mal : »Alle Kunst ist ziemlich unnütz.« Für den Biologen enthält dieses Bonmot die Feststellung, daß menschli­che Kunst nach dem engeren Verständnis der Tierverhal­tensforschung und Evolutionsbiologie ohne praktischen Zweck sei. Das heißt, sie trägt nicht zum Überleben oder zur Weitergabe von Genen bei, was den klar erkennbaren Funktionen der meisten tierischen Verhaltensweisen ent­spricht. Natürlich verfolgt die Kunst im allgemeinen doch einen Zweck, nämlich die Übermittlung einer Botschaft des Künstlers an seine Mitmenschen, aber die Weitergabe von Gedanken an die nächste Generation ist nicht gleich­zusetzen mit der Weitergabe von Genen. Im Gegensatz dazu dient der Vogelgesang offenkundig dem Anlocken von Artgenossen zur Paarung, der Verteidigung des Re­viers und somit der Verbreitung der eigenen Erbanlagen.
    Und nun zum zweiten behaupteten Unterschied, näm­lich, daß das Bedürfnis nach ästhetischem Genuß die Antriebskraft menschlicher Kunst sei. Ein renommier­tes amerikanisches Wörterbuch, Webster’s Dictionary , definiert Kunst als »Anfertigung oder Ausführung von Dingen, die Form oder Schönheit besitzen«. Wir kön­nen zwar Amseln und Nachtigallen nicht fragen, ob sie die Form oder Schönheit ihres Gesangs ebenso genießen, aber es ist schon suspekt, daß sie vor allem in der Brut­saison singen, woraus man folgern kann, daß ihr Gesang wahrscheinlich nicht nur dem ästhetischen Genuß dient.
    Zur dritten Besonderheit menschlicher Kunst ist zu sagen, daß jedes Volk seinen eigenen Kunststil besitzt und das Wissen darüber nicht durch Vererbung, son­dern durch Lernen erworben wird. Beispielsweise las­sen sich die typischen Lieder, die heute in Tokio und Paris gesungen werden, leicht voneinander unterschei­den. Die Unterschiede im Stil sind aber nicht in unseren Erbanlagen programmiert, was ja zum Beispiel für die Unterschiede in der Augenform von Franzosen und Ja­panern gilt. Viele Franzosen und Japaner, die als Besu­cher in das jeweils andere Land kommen, lernen dabei auch ein paar Lieder. Demgegenüber gibt es viele Vogel­arten, die instinktiv den Gesang ihrer Art beherrschen und wissen, welches die angemessene Reaktion auf ein bestimmtes Lied ist. Jeder dieser Vögel würde den rich­tigen Gesang selbst dann hervorbringen, wenn er ihn noch nie gehört hätte oder sogar bisher von dem Ge­sang anderer Arten umgeben

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