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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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gewesen wäre. Das ist so, als würde ein von japanischen Eltern adoptiertes fran­zösisches Kind, das als Baby nach Tokio gebracht wurde und dort seine ersten Lebensjahre verbrachte, spontan die Marseillaise anstimmen.
    An dieser Stelle mag es so aussehen, als trennten uns Lichtjahre von der Kunst der Elefanten. Aber hier ist zu bedenken, daß Elefanten ja evolutionsgeschichtlich nicht zu unseren engeren Verwandten zählen. Von grö-ßerer Bedeutung sind da schon die Kunstwerke zwei­er im Zoo lebender Schimpansen namens Congo und Betsy, eines Gorillas namens Sophie, eines Orang-Utans namens Alexander und eines Affen namens Pablo. Die­se Primaten meisterten die Techniken der Pinsel- und Fingermalerei, des Bleistift-, Kreide- und Buntstift zeich­nens. Congo malte bis zu 33 Bilder pro Tag – offenbar zur eigenen Befriedigung, denn er zeigte seine Werke nie einem anderen Schimpansen und bekam jedesmal einen Wutanfall, wenn man ihm den Bleistift wegnahm. Für menschliche Künstler gibt es keinen besseren Be­weis für den Erfolg als eine One­man-Show oder Ein­zelausstellung. Congo und Betsy wurden 1957 immer­hin mit einer Zwei-Schimpansen-Show ihrer Bilder im Londoner Institute of Contemporary Art geehrt. Im Jahr darauf hatte Congo eine Einzelausstellung in der Lon­doner Royal Festival Hall . Und nicht zu verschweigen: Fast sämtliche der ausgestellten Bilder wurden verkauft (an Menschen), ein Erfolg, von dem viele Künstler der Spezies Homo sapiens nur träumen können. Andere Bil­der von Menschenaffen wurden heimlich in Kunstaus­stellungen geschmuggelt und von nichtsahnenden Kri­tikern stürmisch gefeiert – wegen ihrer Dynamik, ihres Rhythmus und ihrer Ausgewogenheit.
    Keinen Verdacht schöpften auch Kinderpsychologen, denen die Bilder von Schimpansen aus dem Zoo von Baltimore mit der Bitte übergeben wurden, eine Diagno­se der Persönlichkeitsprobleme ihrer Urheber zu erstel­len. Die Psychologen tippten, daß es sich bei dem Bild eines dreijährigen Schimpansen um das eines aggressi­ven sieben- bis achtjährigen Jungen mit paranoiden Zü-gen handelte.
    Zwei Bilder eines einjährigen Schimpansenmädchens wurden zwei verschiedenen zehnjährigen Mädchen zu­geschrieben, wobei das eine Bild nach Ansicht der Psy­chologen auf ein streitlustiges Mädchen mit schizoidem Charakter hindeutete, das andere auf ein paranoides Mädchen mit starker Vateridentifikation. Es spricht für die beauftragten Psychologen, daß sie das Geschlecht der Künstler in allen Fällen richtig bestimmten und sich nur in der Spezies irrten.
    Diese Werke unserer nächsten Verwandten verwischen in der Tat die Grenzen zwischen menschlicher Kunst und tierischem Treiben. Ebenso wie Gemälde aus Menschen­hand dienten die Bilder der Menschenaffen keinem prak­tischen Zweck im engeren Sinne, also der Weitergabe von Genen, sondern wurden nur so zum Spaß angefer­tigt. Man könnte einwenden, daß die Menschenaffen, wie Siri der Elefant, ihre Bilder nur zum eigenen Vergnügen malten, während die Menschen mit Kunstwerken in der Regel anderen etwas mitteilen wollen. Nicht einmal zur eigenen Erbauung bewahrten die Menschenaffen ihre Bilder auf, sondern warfen sie einfach fort. Ich halte die­sen Einwand jedoch nicht für wichtig, da erstens die ein­fachste Form menschlicher Kunst (»Männchen malen«) ebenfalls regelmäßig im Papierkorb landet und zweitens einer der besten Kunstgegenstände, die ich besitze, eine Holzfigur ist, die von einem neuguineischen Dorfbewoh­ner geschnitzt und dann achtlos in den Raum unter sei­nem Pfahlhaus geworfen wurde. Selbst manche später berühmt gewordenen menschlichen Kunstwerke wur­den zum Privatvergnügen ihrer Urheber geschaffen: Der Komponist Charles Ives veröffentlichte nur wenige sei­ner Kompositionen, und Franz Kafka verbot seinem Te­stamentsvollstrecker sogar ausdrücklich die Veröffentli­chung seiner drei großen Romane. (Zum Glück gehorch­te der nicht, so daß Kafkas Romane wenigstens posthum eine Kommunikationsfunktion erhielten.) Es gibt jedoch einen wichtigeren Einwand dagegen, eine Parallele zwischen der Kunst von Menschen und Menschenaffen zu ziehen, nämlich den, daß es sich bei der Malerei der Menschenaffen um eine unnatürliche Aktivität in Gefangenschaft lebender Tiere handelt. Man könnte darauf beharren, ein unnatürliches Verhalten sei nicht geeignet, Aufschluß über die tierischen Ursprünge der Kunst zu geben. Wir wollen uns deshalb einem un­leugbar natürlichen,

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