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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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sie vor den Augen der Frau, die er zu verführen sucht, zu verbergen. Warum stellt der Mann auf dem Photo sie bloß so be­wußt zur Schau ? Glauben Firmen, die Whisky herstel­len, etwa, Photos eines derart beeinträchtigten Individu­ums würden den Absatz steigern? Man könnte meinen, die Vereinigung gegen Alkohol am Steuer stecke hinter solchen Anzeigen und Whiskyfirmen würden vor Ge­richt ziehen, um ihren Abdruck zu unterbinden.
    Seite um Seite sprangen mir weitere Anzeigen ins Auge, in denen der Konsum von Zigaretten oder Schnaps in vorteilhaftem Licht präsentiert wurde. Darunter waren sogar Bilder, auf denen junge, Leute in Gegenwart at­traktiver Angehöriger des jeweils anderen Geschlechts rauchten, so als ob gesagt werden sollte, Raucher hät­ten auch die besseren sexuellen Chancen. Doch wie je­der Nichtraucher weiß, der einmal von einem Raucher geküßt wurde (oder versucht hat, einen zu küssen), ist Raucheratem dem Sex-Appeal höchst abträglich. Die Anzeigen implizierten paradoxerweise nicht nur sexuel­len Gewinn, sondern auch platonische Freundschaften, geschäftliche Gelegenheiten, Vitalität, Gesundheit und Glück, und das alles, obwohl die unmittelbare Aussage der Anzeigen das genaue Gegenteil war.
    Während die Tage vergingen und ich wieder in die westliche Zivilisation eintauchte, hörte ich nach und nach auf, ihre völlig sinnlosen Werbebotschaften wahr­zunehmen. Ich zog mich zur Analyse meiner Felddaten zurück und richtete meine Neugier nun auf ein ganz an­deres Paradoxon, das mit der Evolution der Vögel zu­sammenhing. Durch die Beschäftigung mit ihm ging mir schließlich auf, welches Prinzip hinter all den An­zeigen für Zigaretten und Whisky steht.
    Bei dem neuen Paradoxon ging es um die Frage, wa­rum bei Paradiesvögeln die Männchen eine Behinde­rung, wie sie ein fast einen Meter langer Schwanz dar­stellt, entwickelt hatten. Bei anderen Paradiesvogelarten haben die Männchen andere merkwürdige Behinderun­gen, zum Beispiel lange Federn, die ihnen aus den Au­genbrauen wachsen, die Gewohnheit, kopfüber an Äs­ten zu hängen, ein leuchtendes Gefieder und laute Rufe, die sicher auch Raubvögel anlocken. All diese Merkma­le schmälern ihre Überlebenschancen, aber zugleich die­nen sie den Männchen als Werbung um Weibchen. Wie viele Biologen vor mir fragte ich mich, warum die Männ­chen solche Handikaps als Werbung einsetzen und was Weibchen daran attraktiv finden.
    Dann stieß ich auf einen bemerkenswerten Aufsatz des israelischen Biologen Amotz Zahavi, der eine allgemei­ne Theorie über die Funktion kostspieliger bzw. selbst­zerstörerischer Signale bei Tieren entwickelt hatte. Un­ter anderem versuchte Zahavi zu erklären, warum be­stimmte Merkmale männlicher Tiere Weibchen gerade deshalb anlocken, weil sie Handikaps darstellen. Nach einigem Überlegen kam ich zu dem Urteil, daß Zaha­vis Hypothese auch für die von mir untersuchten Pa­radiesvögel zutreffen könnte. In helle Erregung versetz­te mich dann aber der Gedanke, daß seine Theorie viel­leicht auch die Erklärung für das Paradoxon unseres Gebrauchs giftiger Substanzen und der lautstarken Re­klame dafür liefern könnte.
    Die von Zahavi vorgeschlagene Theorie bezog sich auf das breite Gebiet tierischer Kommunikation. Alle Tiere benötigen schnelle, leicht verständliche Signale, um Bot­schaften an Paarungspartner, potentielle Paarungspart­ner, Nachkommen, Eltern, Rivalen und natürliche Fein­de zu übermitteln. Denken Sie zum Beispiel an eine Ga­zelle, die einen sich anschleichenden Löwen bemerkt. Es wäre in ihrem Interesse, ein Signal auszusenden, das dem Löwen etwa bedeuten würde : »Ich bin eine besonders flinke Gazelle ! Du wirst mich nie kriegen und brauchst gar nicht erst die Zeit und Energie zu verschwenden.« Selbst wenn die Gazelle tatsächlich schnell genug wäre, einem Löwen davonzulaufen, würde sie dennoch Zeit und Energie sparen, wenn sie ihn durch ein Signal von seinem Vorhaben abbringen könnte.
    Doch wie soll sie dem Löwen unmißverständlich klarmachen, daß sein Unterfangen hoffnungslos ist? Sie kann nicht jedesmal, wenn ein Löwe auftaucht, zur Demonstration einen 100-Meter-Sprint hinlegen. Viel­leicht könnten sich Gazellen auf irgendein kurzes Signal einigen, das Löwen nach einiger Zeit verstehen würden, zum Beispiel, daß das Scharren mit dem linken Hin­terbein bedeutet : »Ich behaupte, ich bin schnell !« Al­lerdings öffnet ein rein willkürliches Signal dieser

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