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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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kann.« Dem Löwen wird die Ehrlichkeit der Gazelle dadurch glaubhaft, und beiden ist geholfen, da sie nun keine Zeit und Energie für eine Verfolgungsjagd mit von vornherein klarem Ausgang verschwenden.
    Auf die an weibliche Adressaten gerichteten Darbie­tungen von Männchen bezogen, lautet die Aussage von Zahavis Theorie, daß jedes Männchen, dem es gelang, trotz des Handikaps eines langen Schwanzes oder auf­fälliger, Raubtiere anlockender Gesänge zu überleben, in anderer Hinsicht über phantastische Gene verfügen muß. Es beweist, daß es besonders gut darin sein muß, natürlichen Feinden zu entwischen, Futter zu finden und Krankheiten abzuwehren. Je größer das Handikap, desto strenger der bestandene Test. Das Weibchen, des­sen Wahl auf ein solches Männchen fällt, handelt ähn­lich wie jenes mittelalterliche Fräulein, das seine ritter­lichen Verehrer auf die Probe stellte, indem es sie gegen Drachen kämpfen ließ. Als sie einen Einarmigen er­blickte, der dennoch einen Drachen besiegte, wußte sie, daß sie endlich den Mann mit den besten Genen gefun­den hatte. Durch Zurschaustellung seiner Behinderung zeigte er im Grunde seine Überlegenheit.
    Mir erscheint es, als träfe Zahavis Theorie auf viele kostspielige und gefährliche Verhaltensweisen des Men­schen zu, die auf Prestige im allgemeinen oder sexuel­le Vorteile im besonderen abzielen. Zum Beispiel sagen Männer, die mit teuren Geschenken und anderen Reich­tumsbekundungen um eine Frau werben, im Grunde nichts anderes als : »Ich besitze viel Geld, um für dich und Kinder zu sorgen, und du kannst es mir glauben, denn du siehst ja, wieviel Geld ich hier ausgebe, ohne mit der Wimper zu zucken.« Wer mit teuren Juwelen, Sportwagen oder Kunstwerken prahlt, gewinnt Prestige, weil das Signal nicht gefälscht sein kann und jedermann weiß, wieviel solche Prunkobjekte kosten. Bei einem In­dianerstamm im Nordwesten Amerikas bemaß sich der soziale Status danach, wer bei den sogenannten Potlatch-Zeremonien am meisten verschenkte. Vor dem Tri­umphzug der modernen Medizin waren Tätowierungen nicht nur schmerzhaft, sondern wegen des Infektionsri­sikos auch gefährlich. Deshalb demonstrierten Tätowier­te gleich zwei Seiten ihrer Stärke : daß sie Krankheiten widerstehen und Schmerzen aushalten konnten. Män­ner auf der Pazifikinsel Malekula sind für die wahnwit­zige Sitte bekannt, hohe Türme zu errichten und dann kopfüber hinabzuspringen. Dabei steckt ihr Fuß in einer Schlinge aus einer festen Kletterpflanze, deren anderes Ende oben am Turm festgebunden ist. Die Länge dieses Pflanzenseils ist so bemessen, daß der Sturz gerade noch aufgefangen wird, bevor der Wagemutige mit dem Kopf auf den Boden prallt. Wer den Sprung lebend übersteht, hat bewiesen, daß er Mut besitzt, richtig rechnen kann und ein guter Baumeister ist.
    Zahavis Theorie läßt sich auch auf den Mißbrauch chemischer Substanzen durch Menschen anwenden. Be­sonders in der Zeit des Heranwachsens und im jungen Erwachsenenalter, also in der Lebensphase, in der Dro­genmißbrauch am ehesten beginnt, widmen wir einen großen Teil unserer Energie der Gewinnung von Pre­stige. Ich glaube, in uns wohnt der gleiche unbewuß-te Instinkt, der Vögel zu ihren gefährlichen Darbietun­gen treibt. Vor zehntausend Jahren forderten wir Löwen oder Stammesfeinde zum Kampf heraus. Heute streben wir das gleiche Ziel der Prestigegewinnung auf andere Weise an, zum Beispiel durch schnelles Fahren oder die Einnahme gefährlicher Substanzen.
    Die Botschaften von damals und heute sind die glei­chen : Ich bin stark und überlegen. Selbst wenn ich nur ein- oder zweimal giftige Substanzen einnehme, muß ich stark genug sein, um das Brennen und Würgen beim er­sten Zigarettenzug oder meinen ersten Kater zu überste­hen. Wenn ich zum regelmäßigen Konsumenten wer­de und trotzdem gesund und am Leben bleibe, muß ich besser sein als andere (so stelle ich es mir jedenfalls vor). Die Botschaft ist an unsere Rivalen, engeren Freunde, po­tentiellen Partner und uns selbst gerichtet. Der Kuß des Rauchers mag scheußlich schmecken und der Trinker im Bett impotent sein, aber beide hoffen, mit der implizi­ten Botschaft der Überlegenheit bei ihren Freunden Ein­druck zu schinden oder gar einen Partner anzulocken.
    Leider ist die Botschaft, die bei Vögeln richtig sein mag, bei uns sicher falsch. Wie so viele tierische In­stinkte in uns stellt auch dieser in der Welt von heu­te eine Fehlanpassung dar.

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