Der dritte Schimpanse
Fremdenhaß beim Menschen weitaus gefährlicher macht als bei jeder Tierart, ist unser Besitz von Massenvernichtungswaffen, die aus weiter Entfernung eingesetzt werden können. Jane Goodall beschrieb zwar einmal, wie die Männchen einer Horde gewöhnlicher Schimpansen nach und nach die Mitglieder einer Nachbarhorde umbrachten und deren Revier in Besitz nahmen, doch sie verfügten weder über die Mittel, Artgenossen einer weiter entfernt lebenden Gemeinschaft zu töten, noch alle Schimpansen der Welt (einschließ-lich sich selbst) auszulöschen. Der Mord aus Fremdenhaß hat unzählige Vorläufer im Tierreich, aber wir sind als erste imstande, unsere ganze Spezies zu vernichten. Diese Gefährdung der eigenen Existenz ist neben Kunst und Sprache ein weiteres Markenzeichen des Menschen geworden. Kapitel 16 befaßt sich mit der Geschichte des Genozids, um zu verdeutlichen, in welch häßlicher Tradition die Gaskammern von Dachau und die moderne atomare Kriegführung stehen.
Kapitel 13
Die letzten Erstkontakte
Am 4. August 1938 machte eine biologische Forschungsexpedition des American Museum of Natural History eine Entdeckung, die eine lange Phase der Menschheitsgeschichte ihrem Ende ein großes Stück näherbrachte. Es war der Tag, an dem die Vorhut der dritten Archbold-Expedition, benannt nach ihrem Leiter Richard Archbold, das Grand Valley des Balim-Flusses im vermeintlich unbewohnten westlichen Innern von Neuguinea betrat, in das noch nie Fremde vorgedrungen waren. Zum Erstaunen aller stellte sich heraus, daß das Grand Valley dicht besiedelt war – von 50 000 in der Steinzeit lebenden Papuas, von denen der Rest der Menschheit noch nichts gehört hatte und die selbst nicht dachten, daß es außer ihnen noch Menschen gab. Auf der Suche nach unentdeckten Vögeln und Säugetieren war Archbold auf eine unentdeckte menschliche Gesellschaft gestoßen.
Um die Folgenschwere dieses Ereignisses zu begreifen, müssen wir uns über die Bedeutung des Phänomens »Erstkontakt« klar sein. Ich erwähnte bereits, daß die meisten Tierarten ein sehr beschränktes Verbreitungsgebiet haben. Bei den Arten, die wie Löwen und Grislybären auf mehreren Kontinenten heimisch sind, kommt es nicht zu gegenseitigen Besuchen. Vielmehr hat jeder Kontinent und für gewöhnlich sogar jede Region eine eigene charakteristische Population, die zwar in Berührung mit eng benachbarten, aber nicht mit entfernt lebenden Artgenossen kommt. (Zugvögel stellen eine Ausnahme dar. Bei ihren Wanderungen zwischen den Kontinenten folgen sie allerdings immer festen Routen, und die sommerlichen Brutgebiete sind ebenso wie der winterliche Lebensraum einer Population relativ eng umrissen.)
Die. Treue der Tiere zu ihren angestammten Gebieten spiegelt sich auch in der in Kapitel 6 erörterten geographischen Variabilität wider. Populationen derselben Art entwickeln sich bei räumlicher Trennung tendenziell zu Unterarten mit jeweils eigenem Aussehen, da die Paarung hauptsächlich innerhalb der gleichen Population erfolgt. So ward noch nie ein ostafrikanischer Tieflandgorilla in Westafrika gesehen oder ein westafrikanischer Flachlandgorilla umgekehrt in Ostafrika, obwohl sich beide Unterarten deutlich unterscheiden, so daß Biologen Wanderer leicht erkennen würden, wenn es welche gäbe.
In dieser Hinsicht war der Mensch während des größ-ten Teils seiner Evolution ein ganz typisches Tier. Auch jede menschliche Population ist genetisch an das Klima und die Krankheiten ihrer heimatlichen Umgebung angepaßt, wobei sprachliche und kulturelle Barrieren Menschen viel stärker als Tiere davon abhalten, sich einfach unter andere Populationen zu mischen. Anthropologen können die Herkunft eines Menschen anhand seines (unbekleideten) Äußeren grob bestimmen, Sprachwissenschaftler und Modekenner sogar noch viel präziser. Das läßt erkennen, wie seßhaft menschliche Populationen gewesen sind.
Während wir uns selbst gern als große Reisende betrachten, waren wir während der Jahrmillionen unserer Evolution fast das genaue Gegenteil. Keine Population wußte etwas von der Welt außerhalb der Grenzen des eigenen Territoriums und des Territoriums der unmittelbaren Nachbarn. Erst in den letzten Jahrtausenden verschaffte der politische und technische Wandel einer kleinen Zahl von Menschen die Möglichkeit, regelmäßig weite Reisen zu unternehmen, fremden Völkern in entfernten Ländern zu begegnen und aus
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