Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
meinen Besuch auf Renell im Jahre 1976 zurückdenke. Die Pazifikinsel konnte dank ihrer Abgelegenheit, der steilen Felsküste ohne Strände und der zerfurchten Korallenlandschaft ihre polynesische Kultur bis in die jüngste Vergangen­heit unverändert bewahren. Ich brach morgens an der Küste auf und marschierte durch den Dschungel, ohne irgendwelche Spuren von Menschen zu entdecken. Als ich am Spätnachmittag eine weibliche Stimme vernahm und eine kleine Hütte vor mir erblickte, schwirrten mir lauter Phantasien von einer zauberhaften, unverdorbe­nen, barbusigen polynesischen Schönheit mit Grasröck­chen durch den Kopf, die mich an dieser abgelegenen Stelle dieser abgelegenen Insel erwartete. Schlimm ge­nug, daß die Lady korpulent war und einen Ehemann besaß. Was meinen Stolz als wackerer Forscher wirklich verletzte, war, daß sie ein Sweatshirt mit dem Aufdruck »University of Wisconsin« trug.
    Im Gegensatz dazu war Reisefreiheit in der Geschich­te der Menschheit mit Ausnahme der letzten 10 000 Jah­re ein Fremdwort, und die Verbreitung von Sweatshirts hielt sich in sehr engen Grenzen. Jedes Dorf und jede umherziehende Sippe bildeten eine politische Einheit, die mit Nachbardörfern und -sippen mal Krieg führte, mal in Frieden lebte, mal Bündnisse einging und mal Handel trieb. Die Bewohner des Hochlands von Neu­guinea verbrachten ihr ganzes Leben im Umkreis von 30 Kilometern um ihren Geburtsort. Es kam wohl vor, daß sie das Land benachbarter Stämme in Kriegszei­ten heimlich oder im Frieden nach vorheriger Erlaub­nis betraten, doch für weitere Reisen fehlten die sozialen Voraussetzungen. Die Duldung nichtverwandter Frem­der war ebenso unvorstellbar wie der Gedanke, daß ein Fremder es wagen könnte, einfach so aufzutauchen.
    Selbst heute noch ist diese Abschottungsmentalität in vielen Teilen der Welt lebendig. Jedesmal, wenn ich in Neuguinea bin, um Vögel zu beobachten, hole ich mir dafür erst im nächsten Dorf die Erlaubnis. Zweimal, als ich diese Vorsichtsmaßnahme ausgelassen bzw. im fal­schen Dorf gefragt hatte und mit dem Boot flußaufwärts gefahren war, fand ich den Fluß bei meiner Rückkehr versperrt mit Kanus steinewerfender Dorfbewohner, die über mein Eindringen in ihr Territorium äußerst er­zürnt waren. Als ich bei den Elopis im westlichen Teil Neuguineas lebte und von dort das Gebiet des benach­barten Fayu-Stammes durchqueren wollte, um zu ei­nem nahegelegenen Berg zu gelangen, erklärten mir die Elopis, daß mich die Fayus bei dem Versuch töten wür­den. Aus neuguineischer Sicht erschien das ganz nor­mal und verständlich. Natürlich würden die Fayus je­den Eindringling umbringen. Oder glauben Sie, daß sie so dumm wären, einen Fremden auf ihr Territorium zu lassen ? Fremde würden doch nur das Wild jagen, die Frauen belästigen, Krankheiten einschleppen und das Terrain erkunden, um später als Angreifer zurückzu­kehren.
    Die meisten Völker und Stämme, die noch keinen Kon­takt mit der Außenwelt hatten, unterhielten Handelsbe­ziehungen zu ihren Nachbarn, aber viele glaubten auch, sie wären die einzigen Menschen auf der Welt. Vielleicht bewies Rauch am Horizont oder ein leeres Kanu, das auf einem Fluß trieb, daß es noch andere Menschen gab. Aber das eigene Territorium zu verlassen, um diesen Fremden zu begegnen, kam Selbstmord gleich, selbst wenn es nur um ein paar Kilometer ging. Ein neuguineischer Hoch­länder schilderte sein Leben vor der Ankunft der ersten Weißen im Jahre 1930 so : »Wir hatten keine weit ent­fernten Orte gesehen. Wir kannten nur das Gebiet dies­seits der Berge. Und wir glaubten, wir waren die einzigen Menschen.« – Diese Isolation war der Nährboden für eine große genetische Vielfalt. Jedes Tal in Neuguinea besitzt nicht nur seine eigene Sprache und Kultur, son­dern auch spezifische genetische Anomalien und Krank­heiten. Das erste Tal, in dem ich arbeitete, war die Hei­mat der Foré, die der Wissenschaft vor allem durch eine tödliche Viruskrankheit bekannt wurden, die nur sie be­fällt. Kuru , die Lachkrankheit, war für über die Hälfte aller Sterbefälle (besonders bei Frauen) verantwortlich und führte dazu, daß es in manchen Foré-Dörfern drei­mal so viele Männer wie Frauen gab. In Karimui, knapp hundert Kilometer westlich des Foré-Gebiets, ist Kuru völlig unbekannt ; die Bewohner leiden statt dessen unter der höchsten Lepraquote der Welt. Wieder andere Stäm­me zeichnen sich durch eine hohe Zahl von

Weitere Kostenlose Bücher