Der dritte Schimpanse
gebrochen wurde. Charlie war am nächsten Tag noch am Leben, wurde dann aber nicht wieder gesehen.
Von den verbliebenen Kahama-Schimpansen verschwanden zwei erwachsene Männchen und zwei erwachsene Weibchen aus ungeklärten Gründen, während sich zwei junge Weibchen der Kasakela-Horde anschlossen, die daraufhin das ehemalige Kahama-Revier in Besitz nahm. Doch 1979 begann die aus mindestens neun erwachsenen Männchen bestehende, weiter südlich lebende Kalande-Horde, auf Kasakela-Gebiet vorzudringen, was vermutlich das Verschwinden bzw. die Verletzungen mehrerer Kasakela-Schimpansen erklärt. Von ähnlichen Kämpfen zwischen Horden wurde auch in der einzigen anderen Langzeitfeldstudie an gewöhnlichen Schimpansen berichtet, jedoch nicht in Langzeitstudien an Zwergschimpansen.
Mißt man die Taten dieser mordlustigen gewöhnlichen Schimpansen mit menschlichen Maßstäben, überrascht deren Ineffizienz. Obwohl stets Gruppen aus drei bis sechs Angreifern über ein Einzeltier herfielen, es binnen kurzer Zeit wehrlos machten und den Angriff zehn bis zwanzig Minuten oder noch länger fortsetzten, war das Opfer am Ende immer noch am Leben. Es gelang den Angreifern allerdings, dafür zu sorgen, daß es bewegungsunfähig war, was dann oft den Tod nach sich zog. Der Ablauf war in der Regel so, daß das Opfer sich zunächst duckte und versuchte, seinen Kopf zu schützen, dann aber jeden Widerstand aufgab, woraufhin die Gewaltanwendung so lange andauerte, bis es sich nicht mehr regte. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Kämpfe zwischen Horden von den weniger brutalen, die innerhalb der Horden an der Tagesordnung sind. Die Ineffizienz der Schimpansen beim Töten rührt daher, daß sie keine Waffen gebrauchen. Es ist jedoch erstaunlich, daß sie nicht gelernt haben, ein Opfer durch Erwürgen umzubringen, wozu sie physisch durchaus in der Lage wären.
Nach unseren Maßstäben sind nicht nur die einzelnen Morde ineffizient, sondern auch der Verlauf des Schimpansengenozids insgesamt. Seit der ersten Ermordung eines Kahama-Schimpansen bis zum Untergang der Horde verstrichen drei Jahre und zehn Monate, und in allen Fällen wurden Einzeltiere getötet, nie mehrere Kahama-Schimpansen auf einmal. Demgegenüber löschten australische Siedler oft eine ganze Gruppe von Aborigines in einer einzigen Attacke im Morgengrauen aus. Zum Teil ist die Ineffizienz der Schimpansen wiederum Ausdruck des fehlenden Waffengebrauchs. Da sie sich in ihrer fehlenden Bewaffnung alle gleichen, können Tö-tungsabsichten nur verwirklicht werden, wenn mehrere Angreifer ein einzelnes Opfer überwältigen, während die australischen Siedler den Vorteil hatten, Gewehre gegen unbewaffnete Aborigines einsetzen und etliche auf einmal erschießen zu können. Zudem sind Schimpansen dem Menschen natürlich auch in ihren geistigen Fähigkeiten und somit in der strategischen Planung unterlegen. Offenbar sind sie nicht in der Lage, einen Nachtangriff oder einen koordinierten Überfall durch mehrere kleinere Gruppen zu planen.
Liliana Carmen Pereyra Azzarri (Alter 21 Jahre), Fall 195 der argentinischen desaparecidos, über deren Verbleib Menschenrechtsgruppen Nachforschungen angestellt haben. Im fünften Monat schwanger, wurde die junge Frau 1977 entführt. In einem Folterzentrum (Militärakademie ESMA) hielt man sie bis zur Geburt ihres Sohnes im Februar 1978 am Leben und ermordete sie dann durch einen Kopfschuß aus einer Schrotflinte, abgegeben aus nächster Nähe. Ihr Skelett entdeckte man 1985 auf einem Friedhof in Mar de Plata, auf dem auch andere desaparecidos begraben sind. Der Sohn der Ermordeten bleibt verschwunden – vielleicht wurde er von einem Ehepaar aus Militärkreisen adoptiert. Die Behandlung dieser jungen Frau veranschaulicht den Begriff der Ehre, wie er von der ehemaligen argentinischen Junta so oft zur Rechtfertigung ihrer Taten zitiert wurde. Ich danke den Abuelas de Plaza de Mayo für die Erlaubnis, das Foto abzudrucken.
Auf ihren Mordzügen bekunden Schimpansen jedoch durchaus absichtsvolles Handeln und einfache Planung. Die Kahama-Morde waren das Ergebnis eines direkten, raschen, lautlosen und von Nervosität gekennzeichneten Vordringens von Kasakela-Gruppen auf Kahama-Gebiet, wo sie auf Bäume kletterten und fast eine Stunde lang lauschend verharrten, bis sie schließlich auf einen Kahama-Schimpansen zurannten, den sie aufgespürt hatten. Schimpansen haben mit dem Menschen auch die
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