Der dritte Schimpanse
Arten hat der Mensch schon in den Abgrund gedrängt? Wie viele werden es wohl innerhalb der Lebensspanne unserer Kinder noch sein? Und was macht das überhaupt ? Welchen Beitrag leistet denn der Zaunkönig zum Bruttosozialprodukt ? Ist es nicht das Schicksal jeder Art, früher oder später auszusterben ? Handelt es sich bei der an die Wand gemalten Krise des Artensterbens um ein hysterisches Hirngespinst, eine reale Gefahr für die Zukunft oder um einen erwiesenen Vorgang, der bereits in vollem Gang ist ?
Um realistische Schätzungen zu erhalten, müssen wir drei Schritte tun. Erstens wollen wir herausfinden, wie viele Arten in der Neuzeit (hier definiert als Zeitraum ab 1600) ausgestorben sind. Zweitens werden wir schätzen, wie viele schon vor 1600 ausstarben. In einem dritten Schritt wollen wir versuchen vorherzusagen, wie viele Arten innerhalb unserer Lebensspanne und der unserer Kinder wahrscheinlich noch aussterben werden. Zu guter Letzt stellen wir uns die Frage, welchen Unterschied das eigentlich für uns macht.
Der erste Schritt, die Ermittlung der Zahl seit Anbruch der Neuzeit ausgestorbener Arten, erscheint zunächst leicht. Man nehme sich eine Gruppe von Pflanzenoder Tierarten vor, ermittle in einem Katalog die Gesamtzahl der Arten, streiche diejenigen aus, deren Aussterben nach 1600 bekannt ist, und zähle sie zusammen. Als hierfür besonders geeignete Artengruppe bieten sich die Vögel an, da sie den Vorteil besitzen, leicht sichtbar und bestimmbar zu sein, und da sie von vielen Interessierten beobachtet werden. Als Resultat weiß man mehr über sie als über irgendeine andere Gruppe von Tieren.
Heute existieren rund 9000 Vogelarten. Nur ein oder zwei unbekannte Arten werden pro Jahr noch entdeckt, so daß praktisch alle lebenden Vögel bereits einen Namen bekommen haben. Die führende Organisation, die sich mit der weltweiten Situation der Vögel befaßt – der Internationale Rat für Vogelschutz ( International Council of Bird Preservation , ICBP) – spricht von 108 seit 1600 ausgestorbenen Vogelarten, wobei noch viele Unterarten hinzukommen. Fast immer war der Mensch in der einen oder anderen Weise der Grund – aber dazu später mehr. Die Zahl 108 entspricht dem oben erwähnten einen Prozent der insgesamt 9000 Vogelarten.
Bevor wir dies jedoch als letztes Wort gelten lassen, wollen wir erst einmal sehen, wie diese Zahl zustande kommt. Der ICBP führt eine Art erst dann als ausgestorben, wenn nach dem betreffenden Vogel in Gebieten, in denen er zuvor lebte, eine Suchaktion durchgeführt wurde und man ihn dort viele Jahre nicht mehr antraf. In etlichen Fällen wurde das Schrumpfen einer Population bis auf einen kleinen Restbestand beobachtet, dessen Schicksal dann bis zum bitteren Ende verfolgt wurde. Bei der zuletzt in den USA ausgestorbenen Unterart handelt es sich um eine Unterart der Strandammer, die in Sumpfgebieten nahe der Ortschaft Titusville in Florida vorkam. Als die Zerstörung ihres natürlichen Lebensraumes zu einem Populationsrückgang führte, wurden die wenigen überlebenden Exemplare von Mitarbeitern von Naturschutzorganisationen beringt, so daß jedes identifiziert werden konnte. Als nur noch sechs übrig waren, brachte man sie in einen Zoo, in dessen Schutz sie sich wieder vermehren sollten. Doch leider starb ein Vogel nach dem anderen, der letzte am 16. Juni 1987.
Es besteht somit kein Zweifel daran, daß diese Unterart der Strandammer ausgestorben ist. Das gleiche gilt auch für die vielen anderen Unterarten und die 108 als ausgestorben geführten Vogelarten. Bei den in Nordamerika seit der Besiedlung durch die Europäer als ausgestorben geltenden Arten handelt es sich um den Riesenalk (1844), die Brillenscharbe (1852), die Labradorente (1875), den Carolinasittich (1914) und die Wandertaube (1914), wobei in Klammern jeweils das Jahr steht, in dem das letzte Exemplar der jeweiligen Art starb. Der Riesenalk war früher auch in Europa heimisch, aber daneben verzeichnet die Liste keine seit 1600 ausgestorbenen europäischen Vogelarten, wenngleich manche in Europa verschwanden, aber auf anderen Kontinenten überlebten.
Was ist aber mit all den anderen Vogelarten, welche die rigorosen Kriterien des ICBP nicht erfüllen? Können wir sicher sein, daß es sie noch gibt ? Für die meisten nordamerikanischen und europäischen Vögel ist diese Frage zu bejahen. Hunderttausende fanatischer Vogelbeobachter überwachen
Weitere Kostenlose Bücher