Der dritte Schimpanse
Räuber vor ihrem Aussterben mittelgro-ße Räuber wie die kleinen Wildschweine der Art Tayassu pecari , Affen und Angehörige einer Art namens Nasua nasua solitaria (Verwandte des Waschbären) sowie mittelgroße Samenfresser wie Pacas und Nagetiere der Art Dasyprocta aguti gefressen hatten. Durch das Verschwinden der Großräuber kam es zu einer explosionsartigen Vermehrung der mittelgroßen Räuber, die daraufhin die Ameisenvögel und deren Eier restlos verspeisten. Auch die mittelgroßen Samenfresser vermehrten sich rapide und fraßen große, zu Boden gefallene Samen, wodurch die Fortpflanzung von Baumarten mit großen Samen zugunsten der Ausbreitung von Arten mit kleineren Samen unterbunden wurde. Als nächstes wird nun erwartet, daß diese Veränderung in der Waldzusammensetzung eine explosionsartige Zunahme der Populationen von Mäusen und Ratten, die sich von kleinen Samen ernähren, nach sich ziehen wird, und in deren Gefolge eine explosionsartige Vermehrung der Falken, Eulen und Ozelote, den natürlichen Feinden dieser Kleinnager. Das Aussterben dreier seltener Arten von Großräubern führte also zu einer Kette von Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt der Insel, in deren Verlauf viele weitere Arten ausstarben.
Durch diese vier Mechanismen – Überjagen, Einführung neuer Arten, Zerstörung natürlicher Lebensräume und Dominoeffekt – wird bis Mitte des nächsten Jahrhunderts, wenn die Neugeborenen des Jahrgangs 1990 die Sechzig erreichen, wahrscheinlich über die Hälfte aller heutigen Arten ausgestorben oder vom Aussterben bedroht sein. Wie andere Väter stelle ich mir oft die Frage, wie ich meinen jetzt vierjährigen Söhnen die Welt, in der ich aufwuchs und die sie nie erleben werden, beschreiben soll. Wenn sie ein Alter erreicht haben, in dem sie mich nach Neuguinea begleiten könnten, einer der biologischen Schatzkammern unseres Planeten, wo ich in den letzten 25 Jahren immer wieder gearbeitet habe, wird das östliche Hochland der Insel zum größten Teil entwaldet sein.
Zählt man zu den vom Menschen in der Vergangenheit bereits verursachten Ausrottungen jene hinzu, die in naher Zukunft noch hinzukommen werden, so zeichnet sich ab, daß die gegenwärtige Ausrottungswelle die Folgen des Asteroideneinschlags, der möglicherweise das Zeitalter der Dinosaurier beendete, weit übertrifft. Säugetiere, Pflanzen und viele andere Typen von Arten überlebten die Kollision damals nahezu unversehrt, während heute alle Lebewesen betroffen sind, Lilien ebenso wie Löwen. Die Gefahr des massenhaften Artensterbens ist somit weder Gespenstermalerei noch eine bloße Gefahr der Zukunft. Vielmehr handelt es sich um einen Vorgang, der bereits seit 50 000 Jahren an Tempo zunimmt und sich noch während der Lebensspanne unserer Kinder seinem Ende nähern wird.
Zu guter Letzt wollen wir uns mit zwei Argumenten befassen, die zwar die Krise des Artensterbens als Realität anerkennen, ihre Bedeutung jedoch bestreiten. Das erste lautet : Ist das Aussterben nicht ein ganz natürlicher Vorgang ? Wenn ja, warum soll man dann viel Aufh ebens um die gegenwärtige Welle des Artensterbens machen ?
Die Antwort hierauf lautet, daß die gegenwärtige Rate des vom Menschen verursachten Artensterbens weit über der natürlichen Rate liegt. Falls es stimmt, daß die Hälfte der insgesamt 30 Millionen Arten bis Mitte des nächsten Jahrhunderts aussterben werden, beträgt die gegenwärtige Rate etwa 150 000 pro Jahr bzw. 17 pro Stunde. Die Gesamtzahl von 9000 Vogelarten verringert sich um mindestens zwei im Jahr, wobei zu beachten ist, daß unter natürlichen Bedingungen weniger als zwei Arten pro Jahrhundert ausstarben, so daß die heutige Rate mindestens 200mal höher ist als die normale Rate. Wer die Krise des Artensterbens mit der Begründung von der Hand weist, das Aussterben sei ein natürliches Phänomen, argumentiert etwa so logisch wie jemand, der Genozid damit zu rechtfertigen sucht, der Tod sei doch das natürliche Schicksal jedes Menschen.
Das zweite Argument lautet einfach : Was macht es schon ? Unsere Sorge gilt unseren Kindern, nicht irgendwelchen Käfern oder Schnecken. Wen stört es schon, wenn zehn Millionen Käferarten aussterben ? Die Antwort hierauf ist ebenfalls einfach. Wie alle Pflanzen und Tiere ist auch unsere Spezies in vielerlei Hinsicht auf andere Arten angewiesen. Sie produzieren den Sauerstoff , den wir einatmen, absorbieren
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