Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
gerupft , ge­röstet und verspeist wurden. Der übrige Tagesfang be­stand aus ein paar Fröschen und vielen Pilzen.
    Untersuchungen an heutigen Jäger- und Sammlervöl­kern, die im Besitz weitaus effektiverer Waffen sind als der frühe Homo sapiens , zeigen, daß der größte Teil der Kalorienaufnahme einer Familie auf die von Frauen ge­sammelte Pflanzenkost entfallt. Die Männer erlegen Ha­sen und anderes Kleinwild, worüber an den Lagerfeuern jedoch kaum ein Wort verloren wird. Von Zeit zu Zeit gelingt die Erbeutung eines größeren Tieres, das dann einen wichtigen Beitrag zur Proteinversorgung leistet. Doch nur in der Arktis, wo der Pflanzenwuchs spär­lich ist, spielt die Großwildjagd für die Ernährung die Hauptrolle. Und dorthin drang der Mensch erst inner­halb der letzten Jahrzehntausende vor.
    Ich vermute deshalb, daß die Großwildjagd nur einen bescheidenen Beitrag zur Nahrungsversorgung leiste­te, bevor unsere Anatomie und unsere Verhaltenswei­sen einen modernen Stand erreicht hatten. Ich teile auch nicht die verbreitete Ansicht, daß die Jagd die Trieb­kraft hinter der Entwicklung des menschlichen Gehirns und der menschlichen Gesellschaft gewesen sei. Wäh­rend der meisten Zeit unserer Geschichte waren wir kei­ne kühnen Jäger, sondern geschickte Schimpansen, die sich mit Hilfe von Steinwerkzeugen pflanzliche Nah­rung beschafft en und Kleinwild erbeuteten und zuberei­teten. Gelegentlich wurde auch ein Stück Großwild er­legt, worüber aber gerade deshalb so viel berichtet wur­de, weil es so selten vorkam.
    In dem Zeitraum unmittelbar vor dem »großen Sprung« lebten mindestens drei unterschiedliche Populationen von Menschen in verschiedenen Teilen der Alten Welt. Es waren die letzten wirklich primitiven Menschen, die wenig später von bereits hochmodernen Menschen verdrängt wurden. Betrachten wir von ihnen diejenigen, deren Anatomie am besten bekannt ist und deren Name zum Synonym für Roheit und Primitivität wurde : die Neandertaler.
    Wo und wann haben sie gelebt ? Ihr Ausbreitungsge­biet reichte von Westeuropa über Südrußland und den Nahen Osten bis nach Usbekistan in Zentralasien nahe der Grenze zu Afghanistan. (Ihren Namen haben die Neandertaler von dem Tal bei Düsseldorf, wo eines der ersten Skelette gefunden wurde.) Der zeitliche Ursprung der Neandertaler ist Definitionssache, da einige ältere Schädel bereits Merkmale des späteren voll entwickel­ten Neandertalers aufweisen. Die frühesten »ausgereif­ten« Exemplare stammen aus der Zeit vor rund 130 000 Jahren, die Mehrzahl der Funde von vor 74 000 Jahren. Während die Anfänge also verschwommen sind, kam das Ende abrupt: Die letzten Neandertaler starben vor knapp 40 000 Jahren.
    Während der Blütezeit der Neandertaler standen Eu­ropa und Asien unter dem Einfluß der letzten Eiszeit. Somit müssen sie an die Kälte angepaßt gewesen sein – aber nur in Grenzen. Sie kamen nicht weiter nach Nor­den als bis nach England, Norddeutschland, Kiew und zum Kaspischen Meer. Das Vordringen nach Sibirien und in die Arktis blieb späteren, modernen Menschen vorbehalten.
    Die Neandertaler waren von so charakteristischer Ge­stalt, daß wir alle uns schockiert umblicken würden, wenn einer von ihnen heute, in einen flotten Anzug oder ein modisches Kostüm gekleidet, durch die Straßen von Berlin oder Frankfurt schlendern würde. Stellen Sie sich vor, Sie nähmen ein modernes Gesicht aus weichem Ton, zögen die Partie vom Nasenbein bis zum Kiefer ein Stück heraus und ließen es wieder hart werden. Das gäbe Ih­nen eine ungefähre Vorstellung vom Aussehen der Ne­andertaler. Ihre Augenbrauen saßen auf starken knochi­gen Wülsten, unter denen die Augen in tiefen Höhlen lagen. Nase, Kiefer und Zähne traten stark hervor. Sie hatten eine fliehende Stirn und ein nur schwach ausge­bildetes Kinn. Trotz dieser verblüffend primitiven Ge­sichtszüge war ihr Gehirn fast zehn Prozent größer als unseres!
    Ein Zahnarzt wäre bei einer Gebißuntersuchung ebenfalls reif für einen Schock. Die Schneidezähne von erwachsenen Neandertalern waren außen in einer Weise abgenutzt, wie man es bei modernen Menschen nicht antrifft . Offenbar lag das an ihrer Verwendung als Werkzeuge, aber wozu genau ? Vielleicht benutzten sie ihre Zähne regelmäßig zum Festhalten von Gegenstän­den – so wie meine Söhne es als Babys mit der Milchfla­sche taten, um die Hände frei zu haben. Oder vielleicht bearbeiteten sie mit ihren Zähnen auch Häute,

Weitere Kostenlose Bücher