Der dritte Schimpanse
Menschenaffen gleich nach der Entwöhnung anfangen, sich ihr Futter selbst zu suchen.
Die Gründe, warum Kleinkinder bei der Nahrungsbeschaffung so vollständig versagen, hängen zum einen mit der mangelnden Beherrschung des Bewegungsapparates, zum anderen mit ihrer geistigen Entwicklung zusammen. Erstens erfordern die Herstellung und der Gebrauch der zur Nahrungsbeschaffung benötigten Werkzeuge eine genaue Koordination der Fingerbewegungen, die erst nach Jahren erreicht wird. So wie meine beiden vierjährigen Söhne ihre Schnürsenkel immer noch nicht allein binden konnten, vermag auch ein vierjähriges Jäger- und Sammlerkind keine Steinaxt zu schärfen und keinen Einbaum zu schnitzen. Zum zweiten sind wir bei der Beschaffung von Nahrung viel stärker als andere Tierarten auf unseren Intellekt angewiesen, da unser Nahrungsspektrum so breit ist und die angewandten Techniken viel komplizierter sind. So haben die Bewohner Neuguineas, bei denen ich gewesen bin, Namen für rund tausend verschiedene Pflanzen und Tierarten der näheren Umgebung. Für jede dieser Arten wissen sie vieles über die Verbreitung, die Lebensgeschichte, Erkennungsmerkmale, die Eßbarkeit oder sonstige Verwendbarkeit und wie man sie am besten fängt oder erntet. Man braucht Jahre, um diesen Wissensschatz zu erwerben.
Abgestillte Kleinkinder können nicht für sich selbst sorgen, da sie noch nicht im Besitz dieser körperlichen und geistigen Fähigkeiten sind. Sie müssen von Erwachsenen unterrichtet und während der zehn oder gar zwanzig Jahre, die das dauert, auch ernährt werden. Wie bei so vielem, was als typisch menschlich gilt, gibt es auch hier wieder Parallelen im Tierreich. Bei Löwen und zahlreichen anderen Arten müssen die Eltern den Jungen das Jagen beibringen. Schimpansen haben ebenfalls ein breites Nahrungsspektrum, bedienen sich bei der Futtersuche unterschiedlicher Techniken und sind ihren Jungen beim Beschaffen von Eßbarem behilflich, wobei gewöhnliche Schimpansen (Zwergschimpansen jedoch nicht) sogar in gewissem Umfang Werkzeuge gebrauchen. Die Unterschiede sind nicht absolut, sondern graduell: Beim Menschen sind die notwendigen Fertigkeiten und die daraus resultierenden elterlichen Belastungen weitaus größer als bei Löwen oder Schimpansen.
Aufgrund dieser Bürde ist es für das Überleben des Kindes wichtig, daß sich sowohl Vater als auch Mutter um es kümmern. Orang-Utan-Väter haben für den eigenen Nachwuchs nicht mehr übrig als den Samen zur Befruchtung. Gorilla-, Schimpansen- und Gibbon-Väter gehen etwas weiter und lassen ihren Sprößlingen Schutz angedeihen. Bei menschlichen Jägern und Sammlern steuern die Väter jedoch auch einen Teil der Nahrung und endlos viele Unterrichtsstunden bei. Somit erforderte die Art unserer Nahrungsbeschaffung ein System des Zusammenlebens, in dem die Beziehung zwischen Mann und Frau über den Moment der Befruchtung hinaus Bestand hatte, damit sich die Männer an der Kinderaufzucht beteiligten. Andernfalls hätten die Kinder eine geringere Überlebenschance und die Väter eine geringere Chance, ihre Erbanlagen weiterzugeben. Das System der Orang-Utans, bei denen die Väter nach der Paarung verschwinden, würde bei uns nicht funktionieren.
Doch auch das System der Schimpansen, bei dem sich mehrere Männchen mit demselben brünstigen Weibchen paaren, wäre für den Menschen ungeeignet. Denn es führt dazu, daß ein Schimpansenvater keine Ahnung hat, welche Jungen in der Horde von ihm gezeugt wurden. Das mag ihm egal sein, da sich sein Aufwand an Bemühungen um den Nachwuchs in Grenzen hält. Für den menschlichen Vater dagegen, der einen stattlichen Beitrag zur Aufzucht des vermeintlich eigenen Kindes leistet, ist Vertrauen in die Vaterschaft sehr wichtig und zum Beispiel dadurch zu erlangen, daß er der einzige Sexualpartner der Mutter des Kindes ist. Denn sonst könnten ja seine Anstrengungen bei der Aufzucht des Kindes den Erbanlagen eines anderen zugute kommen.
Vertrauen in die Vaterschaft wäre kein Problem, würden Menschen wie Gibbons weitverstreut in getrennten Paaren leben, so daß jede Frau nur selten überhaupt einen anderen Mann zu Gesicht bekäme. Doch gibt es zwingende Gründe, die dazu führen, daß menschliche Populationen fast immer aus Gruppen von Erwachsenen bestehen, trotz der damit verbundenen Vaterschafts-ängste. Hierzu zählt, daß das Jagen und Sammeln in vielen Fällen die
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