Der dritte Schimpanse
danach, ob es noch immer wirklich primitive menschliche Sprachen gibt.
Um leichter zu erkennen, wie eine primitive menschliche Sprache vielleicht klingen würde, wenn es sie gäbe, wollen wir uns noch einmal vor Augen führen, wie sich die normale menschliche Sprache von der lautlichen Kommunikation der Meerkatzen unterscheidet. Ein Unterschied liegt in der Grammatik. Im Gegensatz zu den Meerkatzen besitzen Menschen eine Grammatik, womit Variationen in der Wortstellung, Vor- und Nachsilben sowie Änderungen am Wortstamm (wie »der«, »den«, »dem«), die einen Bedeutungswandel bewirken, gemeint sind. Der zweite Unterschied besteht darin, daß die Laute der Meerkatzen, wenn es sich denn um Wörter handelt, nur für konkrete Dinge oder ausführbare Handlungen stehen. Man könnte argumentieren, daß Meerkatzenrufe in der Tat das Äquivalent von Substantiven (»Adler«) und Verben oder Verbalphrasen (»Gib acht auf den Adler«) darstellen. Unser Wortschatz umfaßt dagegen klar voneinander getrennte Substantive,
Verben und Adjektive. Diese drei Sprachelemente beziehen sich auf bestimmte Objekte, Handlungen oder Eigenschaften. Bis zur Hälfte aller Wörter haben jedoch normalerweise eine rein grammatikalische Funktion ohne konkretes Bezugsobjekt.
Dazu zählen Präpositionen, Konjunktionen, Artikel und Modalverben (Wörter wie »können«, »dürfen«, »sollen« und »wollen«). Im Vergleich zu den Wörtern mit konkretem Bezugsobjekt ist es viel schwerer, ihre Entstehung zu begreifen. Wenn jemand kein Deutsch versteht, können Sie auf Ihre Nase zeigen und ihm so die Bedeutung des Wortes »Nase« klarmachen. Menschenaffen könnten sich vielleicht ganz ähnlich über die Bedeutung von Grunzlauten einigen, die als Substantive, Verben oder Adjektive fungieren. Aber wie soll man jemandem, der des Deutschen nicht mächtig ist, die Bedeutung von »durch«, »weil«, »der« oder »wollte« erklä-ren ? Durch welchen Zufall könnten Menschenaffen auf solche grammatikalischen Begriffe gekommen sein ?
Ein weiterer Unterschied zwischen der lautlichen Kommunikation von Menschen und Meerkatzen liegt darin, daß unsere Sprache über eine hierarchische Struktur verfügt, so daß aus einer bescheidenen Menge von Elementen auf einer Ebene eine größere Menge auf der nächsthöheren wird. Unsere Sprache hat viele verschiedene Silben, die alle auf den gleichen wenigen Dutzend Lauten beruhen. Aus ihnen bilden wir Tausende von Wörtern. Diese werden nicht aufs Geratewohl aneinandergehängt, sondern zu Satzteilen zusammengefügt (beispielsweise Präpositionalphrasen). Daraus läßt sich wiederum durch Zusammenfügung eine theoretisch unendliche Zahl von Sätzen bilden. Die Rufe der Meerkatzen sind demgegenüber nicht aus einzelnen Elementen aufgebaut und entbehren jeglicher hierarchischer Organisation.
Als Kinder meistern wir diese komplexe Struktur menschlicher Sprache, auch ohne ihre expliziten Regeln zu erlernen. Dazu werden wir erst in der Schule beim Studium der eigenen oder einer fremden Sprache gezwungen. Die Struktur unserer Sprache ist so komplex, daß viele ihrer heute von Linguisten postulierten Regeln erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt wurden. Diese breite Kluft zwischen der menschlichen Sprache und tierischen Lautsystemen erklärt, warum die meisten Linguisten nie der Frage nachgehen, wie sich unsere Sprache aus Vorläufern im Tierreich entwickelt haben könnte. Sie halten es für unmöglich, eine Antwort zu finden, und suchen deshalb gar nicht erst danach.
Die frühesten Schriftsprachen aus der Zeit vor 5000 Jahren standen den heutigen an Komplexität nicht nach. Die menschliche Sprache mußte schon viel früher ihren heutigen Komplexitätsgrad erreicht haben. Können wir wenigstens Übergangsformen der Sprachentwicklung entdecken, wenn wir uns auf die Suche nach primitiven Völkern begeben, deren einfache Sprachen vielleicht Frühstadien der sprachlichen Evolution verkörpern? Immerhin verwenden manche Jäger- und Sammlerstämme noch heute Steinwerkzeuge, die ebenso einfach sind wie jene, die vor Zehntausenden von Jahren überall auf der Welt in Gebrauch waren. Die Reisebücher des 19. Jahrhunderts waren voller Berichte über primitive Stämme, die angeblich nur einige hundert Wörter kannten oder überhaupt keine verständlichen Laute hatten, sondern nur »Uhuh« hervorbrachten und zur Verständigung Gesten zur Hilfe nahmen. Diesen ersten Eindruck hatte
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