Der dritte Schimpanse
Darwin auch von der Sprache der Indianer in Feuerland. Doch erwiesen sich all diese Berichte als reine Märchen. Darwin und andere Reisende aus dem Westen fanden es ebenso schwer, für sie ungewohnte Laute zu unterscheiden wie Nicht-Westler die Laute westlicher Sprachen und Zoologen die Laute der Meerkatzen.
In Wirklichkeit gibt es keinen Zusammenhang zwischen sprachlicher und sozialer Komplexität. Völker mit primitiver Technologie sprechen nicht auch primitive Sprachen, wie ich bereits am ersten Tag bei den Foré im Hochland Neuguineas erfuhr. Die Grammatik der Foré-Sprache erwies sich als äußerst kompliziert, mit Postpositionen wie im Finnischen, Dual- sowie Singular- und Pluralformen wie im Slowenischen und Tempora und Satzbau wie in keiner anderen mir bis dahin bekannten Sprache. Ich erwähnte ja bereits die acht Vokaltöne der ebenfalls neuguineischen Iyau-Sprache, deren kaum wahrnehmbare Unterschiede sich selbst ausgebildeten Linguisten jahrelang entzogen.
Während also manche Völker der modernen Welt nach wie vor primitive Werkzeuge benutzen, behielt keines eine primitive Sprache. An archäologischen Fundstätten von Cro-Magnon-Siedlungen wurden jede Menge gut erhaltener Werkzeuge ausgegraben, aber Wörter fand man leider nicht. Das Fehlen sprachlicher Übergangsformen beraubt uns der vielleicht besten Möglichkeit, den Ursprung der Sprache zu ergründen. Und es zwingt uns, auf indirektere Weise nach ihm zu forschen.
Als erstes wollen wir fragen, ob es jemals dazu kam, daß sich Kinder, die nie Kontakt mit einer unserer modernen Sprachen hatten, spontan eine primitive Sprache ausdachten. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot weiß vom Experiment des ägyptischen Königs Psammetich zu berichten, mit dem dieser herausfinden wollte, welches die älteste Sprache der Welt sei. Der König ließ zwei Neugeborene in die Obhut eines Schafhirten geben, dem aufgetragen wurde, sie unter vollkommenem Stillschweigen aufzuziehen und darauf zu achten, welche Wörter sie als erstes sprechen würden. Wie ihm befohlen, berichtete der Hirte, daß beide Kinder die ersten zwei Jahren nichts als unverständliches Geplapper von sich gegeben hatten und dann eines Tages zu ihm gelaufen waren und anfingen, wieder und immer wieder Bekos zu sagen. Da dieses Wort im Phrygischen, der damals in Inneranatolien gesprochenen Sprache, »Brot« bedeutet, soll Psammetich den Phrygiern zugestanden haben, das älteste Volk der Welt zu sein.
Herodots kurze Schilderung des Psammetichschen Experiments konnte Skeptiker nicht überzeugen, daß es wirklich unter so strengen Bedingungen stattgefunden hatte, wie behauptet. Dies mag illustrieren, warum manche Historiker Herodot eher als »Vater der Lügen« denn als »Vater der Geschichtsschreibung« tituliert sehen wollen. Gewiß ist es so, daß Kinder, die wie der berühmte Wolfsjunge von Aveyron in völliger sozialer Isolation aufwuchsen, praktisch stumm bleiben und weder eine Sprache erfinden noch entdecken. Eine Variante des Experiments des Psammetich hat jedoch im modernen Zeitalter dutzendfach stattgefunden. Dabei wurden ganze Kinderpopulationen mit einer Sprachform der Erwachsenen in ihrer Umgebung konfrontiert, die durch grobe Vereinfachung und große Flexibilität gekennzeichnet ist und insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit der normalen kindlichen Sprechweise im Alter von etwa zwei Jahren besitzt. Unbewußt entwickelten die Kinder daraus ihre eigene Sprache, die zwar weit über dem lautlichen Kommunikationssystem der Grünen Meerkatzen steht, aber wesentlich einfacher ist als normale menschliche Sprachen. Das Ergebnis waren neue Sprachen, die als Pidgin und Kreolisch bezeichnet werden. Sie können uns vielleicht als Muster der fehlenden Übergangsformen in der Evolution der menschlichen Sprache dienen.
Meine erste Erfahrung mit einer kreolischen Sprache sammelte ich mit der neuguineischen Lingua franca , bekannt als »Neomelanesisch« oder »Pidgin-English«. (»Pidgin-English« ist eigentlich verkehrt, da es sich bei Neomelanesisch nicht um eine Pidgin-, sondern um eine aus einer höheren Pidgin-Sprache abgeleitete kreolische Sprache handelt – den Unterschied erklä-re ich später –und um nur eine von vielen getrennt voneinander entstandenen Sprachen, die fälschlich mit der Bezeichnung Pidgin-English versehen werden.) In Papua-Neuguinea wurden auf einer Fläche von der Größe Schwedens etwa 700
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