Der dritte Schimpanse
mithalten. Neomelanesisch ist zur hierarchischen Anordnung von Phrasen und Sätzen sogar so gut geeignet, daß es die Wahlreden der Politiker von Neuguinea in ihrer Verschachtelung mit Thomas Manns Prosa aufnehmen können.
Anfangs hielt ich Neomelanesisch in meiner Unwissenheit für eine erquickliche Abnormität unter den Sprachen der Welt. Es war offenbar in den 170 Jahren, seit die ersten englischen Schiffe vor Neuguinea ankerten, entstanden, und ich nahm an, daß es sich irgendwie aus einer Kindersprache entwickelt hatte, in der die weißen Kolonisten mit den Eingeborenen redeten, denen sie natürlich nicht zutrauten, Englisch zu lernen. In Wirklichkeit gibt es Dutzende von Sprachen, die dem Neomelanesischen von der Struktur her ähneln. Sie alle entstanden unabhängig voneinander in den verschiedensten Teilen der Welt mit einem weitgehend aus dem Englischen, Französischen, Holländischen, Spanischen, Portugiesischen, Malaiischen oder Arabischen abgeleiteten Wortschatz. Wichtige Entstehungsorte waren die Umgebungen von Plantagen, Forts und Handelsniederlassungen, wo unterschiedliche Sprachen aufeinandertrafen und es einer Verständigung bedurfte, die sozialen Umstände jedoch den sonst üblichen Weg, daß jede Gruppe die Sprache der anderen erlernt, verhinderten. In vielen Fällen war es in tropischen Gebieten Mittel- und Südamerikas und Australiens sowie auf tropischen Inseln im Pazifischen und Indischen Ozean so, daß europäische Kolonisten Arbeitskräfte in großer Zahl von weit her und mit vielen verschiedenen Sprachen heranschafften. Andere Europäer errichteten Forts oder Handelsniederlassungen in bereits dichtbevölkerten Gebieten Chinas, Indonesiens oder Afrikas.
Die sozialen Barrieren zwischen der herrschenden Schicht von Kolonisten und den importierten Arbeitskräften bzw. der örtlichen Bevölkerung hatten zur Folge, daß erstere unwillig und letztere unfähig waren, die jeweils andere Sprache zu lernen. Gewöhnlich blickten die Kolonisten auf die Eingeborenen herab, doch in China war die Verachtung gegenseitig : Als englische Kaufleute 1664 in Kanton eine Handelsniederlassung errichteten, ließen sich die Chinesen ebensowenig dazu herab, die Sprache der ausländischen Teufel zu erlernen oder ihnen Chinesisch beizubringen, wie die Engländer von den heidnischen Chinesen lernen oder sie unterrichten wollten. Selbst ohne soziale Barrieren hätten die Arbeiter wenig Gelegenheit zum Erlernen der Sprache der Kolonisten gehabt, da sie so stark in der Überzahl waren. Umgekehrt hätten es die Kolonisten schwer gefunden, die Sprache »der« Arbeiter zu lernen, da es unter ihnen ja Sprecher so vieler verschiedener Sprachen gab.
Aus dem zeitweiligen sprachlichen Chaos, das auf die Gründung von Plantagen oder Forts folgte, entstanden einfache, aber stabile neue Sprachen. Nehmen wir als Beispiel die Evolution des Neomelanesischen. Nachdem englische Schiffe um das Jahr 1820 begonnen hatten, melanesische Inseln östlich von Neuguinea anzulaufen, wurden Inselbewohner als Arbeitskräfte auch zu den Zuckerplantagen von Queensland und Samoa gebracht, wo auf die Weise viele Sprachen bunt zusammengewürfelt wurden. Dieses Babel war die Wiege des Neomelanesischen, dessen Wortschatz zu 80 Prozent aus dem Englischen stammt, zu 15 Prozent aus dem Tolai (einer melanesischen Sprache, die von vielen der Arbeitskräfte gesprochen wurde) und im übrigen aus dem Malaiischen, Deutschen und anderen Sprachen.
Linguisten unterscheiden zwei Entstehungsstadien einer neuen Sprache : primitive Behelfssprachen (sogenannte Pidgin-Sprachen) und später die komplexeren sogenannten kreolischen Sprachen. Pidgin-Sprachen entwickeln sich als Zweitsprache von Kolonisten und Arbeitskräften mit unterschiedlicher Mutttersprache, die sich miteinander verständigen müssen. Beide Gruppen (Kolonisten und Arbeitskräfte) behalten ihre Muttersprache und gebrauchen sie innerhalb der eigenen Gruppe. Die Verständigung mit der jeweils anderen Gruppe erfolgt in Pidgin; außerdem können die Arbeitskräfte einer vielsprachigen Plantage mit anderssprachigen Arbeitskräften in der Behelfssprache kommunizieren.
Verglichen mit normalen Sprachen sind Pidgin-Sprachen sehr arm an Lauten, Wörtern und syntaktischen Regeln. Sie enthalten in der Regel nur die Laute, die in beiden (oder allen) zusammengeworfenen Sprachen vorkommen. So finden es viele Neuguineer schwer, die englischen Konsonanten f
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